Wie schreibt man eine Konzertkritik, bei der man weder den Künstler noch die Songs geschweige denn die Musikrichtung kennt, oder besser gesagt, bis jetzt nicht kannte?
Ganz einfach, man erhält den Termin Charlie Musselwhite ausdrücklich als Konzerttipp. Danach schaltet man auf der Rückfahrt vom Konzert nicht das Autoradio ein, um sich zu zuschwallern, sondern um seine Gedanken und Eindrücke Revue passieren lassen zu können. Anschließend  versucht man, diese Impressionen sowie das Gefühl, das einem das Konzert vermittelte, nieder zu schreiben.

Nun denn - Henry, Chef des kleinen, aber feinen
Clubs hier, hatte wieder eingeladen. Diesmal zu einem Blueskonzert, -stop - falsch!  Nicht zu "einem Blueskonzert". Sondern zu einem unvergesslichen Abend mit DER Blueslegende schlechthin.
Charlie wer...? Ich gebe zu, dass ich wikipedien musste, um zu erfahren, wen ich denn da vor mir hatte. Immerhin spielte er ja schon  "at the Nation's best Honky Tonk & Blues Bar" in Knucklehead,Kentucky und war bereits 6 Mal für den Grammy nominiert. 


Der 66jährige Bluesmusiker ist vor allem für sein ausgefeiltes Mundharmonika Spiel berühmt, hat im Laufe seiner Karriere weit über 20 Alben veröffentlicht. Außerdem hat er in der Vergangenheit mit so ziemlich allen Bluesgrößen die Bühne geteilt, wie z.B. mit John Lee  Hooker und Muddy Waters, um nur einige zu nennen. 

Ich war noch mit einer halben Bratwurst bewaffnet um kurz nach 20 Uhr, als es los ging. Ich lauschte den ersten Klängen und dachte: ...hmm...Frühschoppenmusik ? Aber, aber - wer wird gleich in Vorurteilen zerfließen? Also ab in den  "Saal" und mal genauer hinsehen und  -hören. Tja und dann, wurde mir immer wärmer ums Herz. Denn Charlie und seine Band versprühten geradezu diesen gewissen Südstaaten-Charme.
Ja und was braucht so ein Blues-Musiker auf der Bühne...? Na zuerst mal das Herzstück: einen Alukoffer auf einem Holzhocker, dessen Aufkleber von Kentucky, Toleranz und den Hells Angels erzählen und in dem die diversen Mundstücke für die Mundharmonika enthalten sind. 


'Room To Move'

Und dann wurde dank einer  Top-Band,bestehend aus 3 Musikern gezaubert: Eine sphärische Mischung aus mitreißenden Klängen, atemberaubenden Soli und einfach "dem Blues-Feeling" wabberte durch die Garage und ließ die etwa 250 Besucher mit einem doch etwas höherem Durchschnittsalter selig mittanzen und -wippen. Es ertönte stimmiger Blues, der gute Laune machte, so dass sich sogar die Profi-Fotografen am Bühnenrand nicht durch die, anfangs etwas unsanfte Handbewegung von Charlie bzgl. des Filmens und Fotografierens irritieren ließen.

Nach der Pause wurde dann Stück für Stück das wahre Können dieser Musiker auf die Bühne gebracht, mit noch feineren Akkorden bis zur absoluten Stille (auch im Publikum!), noch fetzigeren Gitarrensoli, ein extravagantes , mal kein typisches "Hau-Drauf" -Schlagzeugsolo, sondern feinster Umgang mit den (gemieteten) Trommelfellen und Becken sowie ein spritziges Bass-Solo.
Ich könnte sicher noch detaillierter meine Eindrücke von der Musik beschreiben. Aber es erscheint mir sinnvoller, hier einfach die Musik anhand der Videos sprechen zu lassen.

Und Nicholas, offenbar der Sohn eines Gastes, der  lange sein "Walt Disney' lustiges Taschenbuch"  mit Taschenlampe auf einem Hocker neben den Boxen gelesen hatte, hielt es irgendwann nicht mehr länger aus und wollte dann vor dem Start des 2. Sets auch gerne mal aus der Nähe sehen, wie man denn nun (Blues-) Schlagzeug spielt. Also ging's ab auf die Bühne und mal eben den Drummer gefragt. Ok , why not? Nicholas bekam einen Drumstick in die Hand gedrückt, durfte sich kurz am Becken versuchen, und lehnte dann beim nächsten Song ´gemütlich an der Wand hinter dem Schlagzeug und schaute dem Drummer genau auf die Finger. Wer ein guter (Blues-)Schlagzeuger werden will, schaut sich am besten bei einem Charlie Musselwhite Gig die Drumkünste an,  ;-)

Zu gerne würde ich in dieser Review ein Foto von der Setlist veröffentlichen. Auch um noch einmal die Songs später hören zu können. Aber es ist ja manchmal nicht so einfach im Leben, so auch hier: es gab keine Songliste.  Wozu braucht der Mann auch eine Setliste ?! Schließlich ist er Blues-Geschichte auf zwei Beinen, und er erzählt in seinen Songs sehr viel aus seinem Leben. Und das  muss er sich  nicht extra noch mal auf einen Zettel malen.

Diesmal wurde nicht am Ende des Konzertes sondern in der Pause  CDs verkauft, Autogramme geschrieben und Fotos gemacht. Auch dafür liebe ich die Blues Garage! Etwas erstaunt schaute er dann schon, als ein Gast ihm eine Platte von  1969 zum unterschreiben unter die Nase hielt  :-) Charlies Frau war an seiner Seite  und sammelte mit festem Griff die Geldscheine für die CDs ein, die immerhin 20,- Euro kosteten. Aber was soll's - so habe ich ein weiteres Schmuckstück  in meiner bescheidenen Sammlung.



Charlie  &  Matthias

Bei dieser Gelegenheit schicke ich viele Grüße an 'Hannover Concerts': Hier in der Blues Garage braucht es keinen Ordner, der dem zahlenden Publikum das Handy beim fotografieren oder filmen aus der Hand schlägt. Hier gibt es noch Stil. Ihr könnt also Euer Foto-Verbot-Pappschild von 1979 nun wirklich mal wegschmeißen. 

Zum Schluss daher auch diesmal ein dickes Danke an Henry für eine weitere Sternstunde , die wir in der Blues Garage erleben durften.
http://www.charliemusselwhite.com/

Text & Fotos Matthias Grauer