Nigel Kennedy, der aus einer Musikerfamilie stammende knapp 55 jährige britische Violinist, sagt von sich selbst: "Wer will, kann mich einen klassischen Geiger nennen; ich selbst verstehe mich als einen Musiker der einfach nur Musik spielt - und nicht nur eine Art von Musik." Er erhält bereits mit 7 Jahren das erste Stipendium an der renommierten Yehudi-Menuhi-School in London und wird auch von ihm betreut. Seine 1989 erschienene Version von Vivaldis "Vier Jahreszeiten" war über ein Jahr auf Platz 1 der britischen Klassikcharts und ist mit 3 Millionen verkauften Exemplaren das meist verkaufte Klassikalbum aller Zeiten. Beides hat ihm sogar einen Eintrag in das Guinness Buch der Rekorde beschert.  Respekt ! Und am Abend dieses dauernebligen Herbstsonntages macht er während seiner derzeitigen Deutschlandtournee auch Hannover im bereits 100 jährigen Kuppelsaal seine Aufwartung.

Wie unterschiedlich die Rahmenbedingungen bei Konzerten doch sind, stelle ich bereits vor Beginn fest: Ich verbringe die Wartezeit bis zur Öffnung der Saaltüren mit einem kleinen Snack, bestehend aus Partylachsbrötchen auf Porzellanteller mit Baumwolltischdecke und nicht wie sonst bei Großkonzerten mit lauwarmer Pizza auf Pappteller im zugigen Eingangsbereich. "Natürlich!". "Sehr gerne." "Vielen Dank und viel Vergnügen!" Auch die Kommunikation ist gegenüber der bei Arenakonzerten ("Nehmen Sie jetzt sofort Ihre Plätze ein!! ) wie Balsam für die Seele, so dass ich mich frage, warum ich mir dennoch immer wieder die Megashows antue? Die Mehrzahl der Gäste deren Durchschnittsalter bei etwa 180 Jahreszeiten liegen mag, führt standesgemäß die frisch gereinigte Abendgarderobe vor. Da Parkett und Unterrang jeweils nur zu gut zwei Drittel besetzt sind, werden meine Sitznachbarn und ich von den freundlichen Servicemitarbeitern angesprochen ob wir nicht "selbstverständlich gerne" auch im Parkett Platz nehmen möchten? Das bedeutet in Zahlen: ein Sitzplatz für gut 80,- EURO zum Preis von 64,- EURO. So etwas lasse ich mir schon alleine wegen der besseren Sicht nicht zwei Mal sagen


Leicht verspätet erfüllen ab ca. 20.15 Uhr zunächst Vivaldis klassische Klänge der "Vier Jahreszeiten" den schönen Konzertsaal, dargeboten von einem, nun sagen wir mal - exzentrisch wirkenden Musiker,  der jedoch genau weiß was er tut und vor allem was er kann. Interpretiert wird die wunderbare Musik im wahrsten Sinne des Wortes durch seine eigene Note, so z.B. durch so manche schrägen Töne aus seiner E-Geige.  Wobei "schräg" bitte nicht mit "falsch" verwechselt werden darf! Wer genau hin sieht bemerkt wie Mr. Kennedy seinen Schabernack mit dem Orchester treibt. Und so crazy er auch mit seiner  punkerhaften Ausstrahlung und seinen mit britischem Humor gespickten Ansagen an das Publikum wirkt, so hat es der Mann, meiner, in Sachen Klassik jungfräulichen Sicht, einfach nur drauf. So schnell wie manchmal im echten Leben, sind auch an diesem Abend die vier Jahreszeiten schon wieder vorbei, und das zufriedene Publikum wird gegen 21.30 Uhr in die 15 minütige Pipi- und Prosecco Pause geschickt. Erstes Fazit: US-amerikanische Wissenschaftler haben heraus gefunden, daß Kühe bei Musik von Metal, insbesondere KISS, nicht nur schlechtere sondern auch weniger Milch geben. Das kann ich jetzt sogar irgendwie nachvollziehen - ohne meine heilige Band oder meinen, sonst heiß geliebten Musikstil schlecht machen zu wollen!

Der zweite Teil beinhaltet dann die "Four Elements", ich nehme an es sollen Feuer, Erde, Wasser und Luft sein. Es wird noch knapp 1,5 Stunden Klassik a la Kennedy gemixt mit Pop, Rock, Soul, Jazz und Anflügen von Loungemusik was die wertvollen Instrumente halt so her geben. Der staunende Zuhörer erlebt eine Achterbahnfahrt der Klänge mit einem faszinierendem "Musiker". Mit auf diesem Programm steht auch noch je eine Einzelperfomance von zwei seiner Backgroundsänger. Auf keinen Fall darf die Leistung des 20 köpfigen "Orchestra of Live" unerwähnt bleiben! Dieses scheint präzise auf einander eingespielt zu sein wie ein deutscher Automotor. Es orientiert sich untereinander  mit Blicken, auch zu Nigel Kennedy, um ihm damit ein akustisches Gerüst vom Feinsten zu bauen, in dem er sich von flüsterleise bis laut nach Herzenslust dankbar austobt.
                                                      
Fazit: Ich erhalte für mein Geld bei Nigel Kennedy nicht "nur" klassische Musik sondern einen sehr breiten und vor allem hörbaren Klangbogen allererster Sahne. Und ich kann wohl auch nur im Geringsten erahnen wie genial die Musik der frühen Komponisten wirklich ist. Auch wenn ich Scorpions Drummer James Kottaks  Rückentattoo "Rock n Roll Forever!" voll und ganz zustimme, so besteht die bunte Musikwelt nicht nur daraus, und ich bin sehr froh diese Erkenntnis heute mit nach Hause zu nehmen.

Einige Videoclips von diesem Konzert sind
hier, hier und hier zu finden.

Aber auch der schönste Abend geht mal zu Ende. Und bevor wir ca. 850 Zuschauer mit einem entspannten Lächeln zum Ausgang in die Nacht hinein nach Hause gehen gibt es als Gute-Nacht-Lied noch Thomas Moores "Letzte Rose des Sommers" zu hören."
http://www.nigelkennedy.de/

Text & Pics: Matthias Grauer