Nachdem der Boss auf der 2012er Tour den Süden Deutschlands sträflich ignorierte, musste man als Fan etwas tiefer in die Tasche greifen und sich entweder nach Frankfurt, Köln oder Berlin begeben. Meine Wahl fiel auf Berlin, zum einen weil in Frankfurt die akustischen Verhältnisse angeblich sehr grenzwertig sein sollen, und weil Berlin doch immer Garant für eine tolle Stimmung ist. Gerade im Olympiastadion ist auch immer eine grandiose Atmosphäre, wie man sie von einigen Konzerten aus der Vergangenheit (z.B. U2 2009!) oder vom jährlichen Pokalendspiel kennt. Nachdem die Deutsche Bahn 118 Euro für ein Ticket samt fünfstündiger Fahrt (einfach) aufruft, noch dazu ohne Garantie, pünktlich zu sein, wurde diesmal per Flieger von Nürnberg aus angereist, der grade mal 18 Euro teurer war als die Schnauferlbahn. Nur mit Handgepäck bewaffnet, online Check-In und keinen Wartezeiten war man nach Abflug um 6.30 Uhr morgens bereits um 7.45 Uhr vor dem Reichstag, der noch nicht mit Japanern oder Schulklassen überbevölkert war. Das hatte auch etwas Schönes. Nach einer 3,5 - stündigen Schiffsrundfahrt durch die Hauptstadt , zum Relaxen (allerdings bei kühlem Wetter) ging ab in das zentral -  liegende , naja sagen wir: „zweckmäßige“ Hotel (nebenan befand sich eine Tabledance-Bar. Das stand z.B. nicht in der Hotelbeschreibung aber dafür war die Lage und das Frühstück ok). Anschließend hieß es Essen fassen, um dann mit der U-Bahn die zwei Stationen bis zum zum Oly-Stadion zurückzulegen, wo schon langsam aber sicher die Fanmassen zusammenströmten. Altersmäßig lag man mit Anfang 40 noch im unteren Bereich. Aber es sind nicht immer nur die Kiddies die Stimmung machen, auch Altrocker können noch gut mitgehen. Der Einlass war stressfrei und freundlich. Kontrolliert wurde allerdings so gut wie gar nicht. Wenn das beim Fußball auch so ist, wundert es mich nicht, dass bengalische Feuer immer wieder mit eingeschmuggelt werden können. Nachdem ich bei meinen bisherigen drei Springsteen-Gigs der letzten Jahre irgendwie immer einen miesen Platz hatte, musste es diesmal ein „Front of Stage Ticket“ sein. Das war zwar mit 85 Euronen gute 10 Euro teurer als ein „normales“ Ticket, aber das war es mir in diesem Fall wert. Auf EBay gingen die Teile für 200 und mehr Euro weg. Alle drei Deutschlandgigs waren restlos ausverkauft, was mich nicht wunderte. Denn zum einen hat Bruce eine sehr starke neue Scheibe im Gepäck, und mit 62 hat er wohl auch nicht mehr ganz so viele Touren vor sich. Wie auch immer, gemütlich ging es in den ersten abgesperrten Bereich vor der Bühne, kein Drängen kein Anmeckern. Alles war völlig entspannt.
Vorbands gibt es bei Springsteen so gut wie nie. Und diese wären auch fehl am Platze, zum einen weil er als Hauptact immer sehr lange spielt und zum anderen weil eine Vorband wohl einen extrem schweren Stand hätte. 

Punkt 19.50 Uhr ging es dann los. Wo andere gleich einen „Greatest Hit“ in die Menge feuern zur Auflockerung der Stimmung, lief  dies bei Springsteen etwas anders. Nach und nach schlurfte die ca. 15 köpfige E Street Band auf die Bühne, am Schluss der Meister himself. 

Er kündigte in holprigem Deutsch an, dass sie als erstes einen Song extra für den heutigen Abend einstudiert hätten: „When I Leave Berlin“ ist ein Folkstück des englischen Gitarristen Wizz Jones, was zuerst für Verwunderung sorgt, aber dann doch sehr gut beim Publikum ankam. 


(c) Runawaydream

Erst danach ging es mit „We Take Care Of Our Own“ vom neuen Album „Wrecking Ball“ weiter. Nach dessen Titellied kam mit „Badlands“ dann der erste alte Kracher im Programm. Wie bereits von sehr guten Reviews anderer Konzerte dieser Tour bekannt, war Bruce auf dieser Tour extrem gut drauf und man merkte ihm einfach an, dass er Spaß an der Sache hat, was bei einer Vielzahl der Künstler heutzutage einfach nicht mehr so ist. Nie hatte man bei ihm das Gefühl, er würde nur seinen Job machen, die Kohle abstauben und dann wieder gehen. Er war ständig in Bewegung, schnappte sich eine Sanitäterin zum Tanzen, holte bei „Waiting on a Sunny Day“ einen Jungen zum Singen auf die Bühne, begann zu stagediven etc. So volksnah und zudem authentisch gibt sich wohl keiner der sogenannten „Großen „Stars“ heutzutage. Und man nahm es ihm auch ab. Als er einen Song der neuen Scheibe, die sich insbesondere mit der Wirtschafts- und Bankenkrise auseinandersetzt, mit einer Tirade gegen die Bänker einleitete, kam selbst das authentisch rüber. Dabei ist bekannt, dass er selbst einer der reichsten Musiker überhaupt ist, für seine Konzerte nicht gerade wenig verlangt und auch was T-Shirt- und Merchandisepreise angeht, alles andere in den Schatten stellt (20 Euro für ein Tourprogramm und 35 Euro für ein Shirt sind schon eine echte Frechheit!). Böse kann man ihm irgendwie trotzdem nie sein.

Und auch was die Setlist anging variierte er immer. „Hungry Heart“ sollte an sich erst später im Set kommen, als er jedoch ein Pappschild mit dem Stück erblickte, nahm er es, zeigte es seiner Band und der Song wurde gespielt. Mit „Save Your Love“ von „The Promise“ (dem Album mit unveröffentlichtem Altmaterial der „Darkness..“-Sessions, erschienen 2010) gab es sogar eine Tourpremiere. Die Setlist (s.u.) las sich wie der feuchte Traum eines Springsteen-Jüngers, sowohl Altes/Raritäten und neueres Material wechselten sich ab und auch die alten Gassenhauer wie „Born In The USA“, „Born To Run“ oder „Glory Days“ fehlten natürlich nicht. Highlight der neuen Nummern war für mich „Rocky Ground“, ein Springsteen – untypischer Song, wo eine der Background-Sängerinnen auch eine Rap-Einlage und die zweite Leadstimme lieferte. Lobend zu erwähnen war auch die neue Bläsersektion, die für den 2011 verstorbenen Clarence Clemons am Sax dabei war. Unter ihnen war auch der Neffe des“ Big Man“ am Saxofon, der einen vorzüglichen Auftritt hinlegte. Die Bläsersektion begab sich mit Springsteen oftmals an den Rand des Catwalk und somit unmittelbar vor das Publikum. Im letzten Song „Tenth Avenue Freeze Out“ gab es zudem noch ein gelungenes Tribute an den „Big Man“: Als die Textzeile „And The Big Man joined The Band“ kam, stoppte die Band, hielt komplett inne und auf der Videoleinwand lief 2 Minuten lang ein Zusammenschnitt der besten Szenen von Bruce und seinem ehemaligen Mitstreiter. 

Das war Gänsehaut pur, und der eine oder andere hatte da schon eine Träne im Knopfloch. Ziel der E-Street-Band war es lt. O-Ton „to Rock your pants off“. Und am Schluss hatten sie das auch wirklich geschafft. Little Steven (neben dem Boss der wohl beliebteste E-Street’ler) quetschte einen nassen Schwamm über seinem Arbeitgeber aus, der komplett platt am Bühnenboden lag und nach 3 Stunden waren wirklich die Hosen runter (eine Hose wurde auch am Schluss von der Band hochgehalten!). Ja die Jungs hatten wirklich die Hosen runtergerockt, das war wirklich der beste Boss, den ich bislang gesehen hatte. 

Und auch diejenigen, die ihn in der verklärten „Born in the USA“-Phase oder gar noch früher gesehen hatten, gaben zu, dass er an sich genauso gut war  wie damals, und das mit 62, ein Energiebündel par Excellance. Das war wirklich großes Kino. Für Springsteen Verhältnisse war die Bühne fast schon High-Tech: So eine große Videoleinwand hatte er bislang noch nie dabei. Einziges Manko war vielleicht der, manchmal etwas echolastige Sound (gerade bei den ruhigeren Nummern) aber das war es dann auch schon. Irgendwie kann man sich nicht vorstellen, dass der Mann jemals ein schlechtes Konzert abliefern könnte. Drei Stunden lang (in Frankfurt und Köln waren es sogar fast 3,5) spielt heutzutage ja an sich niemand mehr, und somit war der Ticketpreis auch gerechtfertigt. 


(c) BerlinConcerts

Weil es so gut war gönn ich mir das Ganze nochmal am 11.7 in Prag. Ich bin gespannt, wie da von den Songs her variiert wird. Fazit: Ein „ Glory Day“ für Bruce und Co. in Berlin.
http://brucespringsteen.net/

Setlist:
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1. When I Leave Berlin (Wizz Jones cover) 
2. We Take Care Of Our Own 
3. Wrecking Ball 
4. Badlands 
5. Death to My Hometown 
6. My City of Ruins 
7. Spirit in the Night 
8. Hungry Heart 
9. Trapped (Jimmy Cliff cover) 
10. Jack of All Trades 
11. Youngstown 
12. Johnny 99 
13. Working on the Highway 
14. Shackled and Drawn 
15. Waitin' on a Sunny Day 
16. Save My Love (Premiere: Tour debut) 
17. The River 
18. The Rising 
19. Lonesome Day 
20. We Are Alive 
21. Thunder Road 
Encore:
22. Rocky Ground 
23. Born in the U.S.A. 
24. Born to Run 
25. Glory Days 
26. Seven Nights to Rock (Moon Mullican cover) 
27. Dancing in the Dark 
28. Tenth Avenue Freeze-Out


Alle Fotos/Text Martin Weikrath