Lou Gramm 
“Zwischen Midnight Blue und Hot Red“

Sein neues und insgesamt drittes Soloalbum, das im Frühjahr erscheint, wird ein christliches Rockalbum sein, ein Album in dem er sein tragisches Schicksal verarbeitet  hat. Es heißt schlicht 'Lou Gramm Band'
Und wenn er sich selbst, seine derzeitige Konstitution und Karriere auf einer Skala zwischen Mitternachtsblau und, sagen wir, Knallrot positionieren müsste, wo und wie würde er sich selbst hinsetzen? Das ist die erste Frage an einen der beeindruckendsten Stimmen im Rock’n’Roll. – Es dauert einige Sekunden, bis Lou Gramm zu dieser, seiner Meinung nach, schwierigen Frage, eine Antwort findet.

„Ich würde mich auf Deep Purple setzen mit Tendenz zur nächst helleren Nuance. Das, glaube ich, trifft am ehesten zu. Es geht mir den Umständen entsprechend gut. Und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sich diese Umstände noch weiter verbessern.“

 Er spricht langsam, so als müsste er jedes Wort erst auseinander falten. ‚Midnight Blue’ war übrigens einer seiner Solohits aus dem Jahr 1987 vom Album ‚Ready Or Not’. Und schon damals schien Lou eine Art Vorahnung gehabt zu haben, was seinen weiteren Lebenslauf anging, auch wenn ihm dies so in der Form sicherlich noch nicht bewusst gewesen war. -
Geboren 1950 in Rochester bei New York, formierte Lou Grammatico seine erste Band ‚Black Sheep’ Ende der Sechziger Jahre. Mit jener veröffentlichte er die zwei Alben’ S/T’ (1974) und ‚Encouraging Words’ (1975). Und fast hätten die Schwarzen Schafe den Sprung zu höherem Bekanntheitsgrad geschafft, als sie den Supportslot für Kiss und deren US-Tour angeboten bekamen. Aber es sollte nicht sein, denn just am Sylvesterabend 1975 verunglückte der Truck mit dem Equipment, und ein schöner Traum wurde zerstört. Bereits ein Jahr vor dem Unglück war Gramm dem Gitarristen Mick Jones begegnet, der zu dem Zeitpunkt bei Spooky Tooth im Sattel saß. Und diesem Gitarristen gab Lou wiederum ein Album von Black Sheep das Jones, fast zwei Jahre später dazu bewog, Lou anzurufen, als er auf der Suche nach einem Frontmann für sein eigenes Projekt ‚Trigger’ war.
Wenig später wurden Trigger dann in ‚Foreigner’ umbenannt. Der Rest, sprich Songs wie: "Feels Like the First Time", "Cold As Ice", "Hot Blooded", "Urgent", "Double Vision", "Juke Box Hero", "Head Games", "Dirty White Boy","Say You Will" sind Geschichte. Und natürlich nicht zu vergessen, die beiden größten Hits: "Waiting for a Girl Like You", das ganze 10 Wochen auf Platz 2 in den amerikanischen Single Charts verbrachte. Und ‚I Want To Know What Love Is’ besetzte 1985 sowohl in den USA als auch in Großbritannien die Nr. 1 in den Hitparaden.

“Foreigner war mit Sicherheit der größte Glücksfall in meinem Leben, als ich damals die Chance bekam bei dieser Band einzusteigen. Wir hatten eine wunderbare Zeit miteinander, und ich möchte keine Minute davon missen. Aber irgendwann kam ich an einen Punkt, wo ich nebenbei auch selbst etwas auf die Beine stellen wollte. Und ich begann meine Solokarriere zu verfolgen.“

Das Resultat waren ‚Ready Or Not’ von 1987, das den Song ‚Midnight Blue’ enthielt, der auf Platz 5 in den US-Listen stieg und ‚Long Hard Look’ von 1989 mit "Just Between You and Me", and "True Blue Love", beides Top 40 Songs.

 „Als ich Foreigner zum ersten Mal verließ, fiel mir die Entscheidung sehr schwer. Andererseits war es so, dass Mick Jones in den Achtzigern phasenweise über Monate hinweg nichts bewegte, und wir deshalb auch kein Geld verdienten. Das ist nur einer der Gründe, dass ich 1987 begann, nebenbei mein eigenes Ding in die Wege zu leiten. Als ich mittendrin in der Arbeit zu meinen Soloprojekten steckte, kam Mick dann urplötzlich wieder daher und wollte Foreigner reaktivieren. Und genau an dem Punkt konnte ich einfach nicht alles liegen und stehen lassen, was ich gerade angefangen hatte. Also ließ ich Mick wissen, dass ich die Band verlassen würde.“ 

Für Lou Gramm kam dann 1990 ein gewisser Johnny Edwards zu Foreigner. Aber die Liaison hatte nur kurzzeitig Bestand, da die Fans den neuen Sänger einfach nicht akzeptieren wollten. Lou hingegen gründete zusammen mit Black Sheep Bassist Bruce Turgon  die Band Shadow King mit der er aber auch nur ein selbstbetiteltes Album veröffentlichte.

 
„Diese Band stand einfach unter keinem guten Stern. Es lief von Anfang an nicht so wie es sein sollte, also haben wir es nach der einen Scheibe wieder gelassen.“

1996 lud Mick Jones Lou ein, die Background Vocals für ein Cover von ‚I Want to Know What Love Is’ für die australische Sängerin Tina Arena einzusingen. Diese Künstlerin hatte dann ein zweites Mal einen Riesenhit mit diesem Song. Das war dann der ausschlaggebende Aspekt noch einmal durchzustarten mit Foreigner. Und dann kam jener verhängnisvolle Morgen im Jahr 1997, einen Tag vor der Japan Tour. –

 „Ich wachte  mit höllischen Kopfschmerzen auf, und keine, noch so starke Tablette, half. Ich stellte zudem fest, dass ich zunehmend unter Erinnerungslücken litt, und spätestens da wusste ich, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte mit mir. Nach etlichen Untersuchungen und diversen Röntgenaufnahmen haben die Ärzte dann diesen Gehirntumor bei mir festgestellt. Er hatte bereits die Größe eines mittelgroßen Pfirsichs und war bösartig. Auswüchse der Geschwulst hatten sich bereits um die umliegenden Gehirnzellen gewickelt. Eine normale Operation war deshalb unmöglich gewesen. Also suchte ich einen Spezialisten am Krankenhaus in Boston auf, der zu einer, relativ, neu entwickelten Laser OP riet. Drei Tage später war ich schon dort und wurde um 5.30 Uhr morgens operiert – 19 Stunden lang. Seitdem ist es ein täglicher Kampf. Aber ich denke mein Glaube an mich selbst, gibt mir die Kraft. Mein Leben hat sich definitiv verändert. Ich hatte nach dem Eingriff 30 Prozent meines Sprachvermögens verloren und musste alles wieder mühsam erlernen. Dann habe ich durch all die Medikamente Unmengen an Gewicht zugelegt. Mein Körper hat nicht mehr normal funktioniert. Es war ein langwieriger Prozess um mich wieder zu regenerieren und unter Kontrolle zu bringen. Ich muss noch heute jeden Tag neun Tabletten schlucken und mir zwei Spritzen setzen. Und wehe, ich vergesse auch nur einmal eine Pille, dann bekomme ich das mit allem Nachdruck zu spüren. Aber durch diese Nah-Tod Erfahrung, habe ich gelernt jeden Tag zu schätzen und dafür dankbar zu sein. Und was das wichtigste ist, meine Stimme ist immer noch da und hat sich nicht verändert. Es war nur die Kraft, , die über Jahre hinweg fehlte, um die Stimme wieder in Gang zu setzen. Und trotzdem ging ich bereits 5 Monate nach dem Eingriff wieder auf Tournee. Ich muss allerdings gestehen, ich erinnere mich kaum noch daran. Und auch die folgenden Jahre gestalteten sich als Tortur.“

Diese Qual war allerdings nur teilweise physischer Natur. Auch die internen Spannungen wuchsen wieder. Foreigner Gitarrist und auch  Kopf der Band Mick Jones, gibt bis heute in Interviews zu Protokoll, dass Lou einfach nicht mehr singen konnte und deshalb eine nochmalige Trennung unausweichlich geworden war. Lou hingegen sagt, es wäre seine eigene Entscheidung gewesen, Foreigner ein zweites Mal den Rücken zu kehren. Wie auch immer, Fakt ist, dass Lou während den letzten beiden Jahren wieder fleißig in den Staaten on the Road unterwegs war, und das auch noch relativ erfolgreich.
Die Lou Gramm Band kann man heute fast als Familienunternehmen bezeichnen, so macht Lou nunmehr gemeinsame Sache mit seinen beiden Brüdern. –

 „Ich habe zwei Brüder, einen älteren namens Ben und den jüngeren namens Richard. Ich haben mit Beiden in der Vergangenheit schon zusammen gearbeitet, aber nie mit allen gleichzeitig. Es war entweder der eine oder der andere. Das hatte sich immer zufällig so ergeben und war mitnichten Absicht. Vor ca. 3 Jahren starben meine Eltern innerhalb von einem Jahr hintereinander weg. Und am Totenbett meines Vaters versprachen wir ihm, dass wir alle Drei etwas gemeinsam machen würden. Und dieses Versprechen haben wir gehalten.“

Außer den drei Grammatico Brüdern sind noch Don Mancuso und Andy Knoll mit von der Partie in der neuen ‚Lou Gramm Band’.  Und wie eingangs erwähnt, soll im Frühjahr 2009 ein sehr christliches Album erscheinen.

 „Ich war nie ein bekennender Christ in dem Sinn, bin nie in die Kirche gegangen oder habe religiöse Anlässe zelebriert. Aber die Krankheit, diese endlosen Nächte voller Todesangst, die Schmerzen und Verzweiflung, Hoffnung und letztendlich die große Freude und Dankbarkeit für die Genesung, haben mich gelehrt, bewusster zu leben und den Glauben an das Schicksal und an mich selbst zu stärken. Es war ein langwieriger Prozess, und ich gebe zu, dass ich fast sieben Jahre für dieses Album gebraucht habe. Ich bin schon ganz aufgeregt, es live auf der Bühne umzusetzen.“

(Anm.: Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass sich 2007 Lou Gramms frühere Soloalben durch Rhino Records einer Neuauflage erfreuten.)
Die Lou Gramm Band bedient sich bei ihren Live Auftritten des Songmaterials von Black Sheep, Gramm Solowerken und Foreigner Tracks, bei denen Lou  Co-Author war. Und ab und zu findet auch noch der eine oder andere Beatles Klassiker Platz auf der Setliste. Mit seinem ehemaligen Mitstreiter Mick Jones hat Lou Gramm heute keinen Kontakt mehr.

 „Nein, dazu gibt es keinen Grund mehr. Im Gegenteil, Mick hat mich durch seinen Rechtsanwalt wissen lassen, dass er rechtliche Schritte gegen mich unternehmen würde, falls ich Foreigner Songs wie ‚Urgent’ oder ‚I Wanna Know What Love Is’,  bei denen ich nicht mitgeschrieben hatte, live on Stage performe. Aber don’t worry, dafür besteht auch kein Interesse meinerseits. Ich bin lediglich stolz auf die Musik, für die ich auch verantwortlich zeichnen kann. Was Mick und Foreigner heute machen, interessiert mich nicht mehr. Ich wünsche ihnen viel Glück. Aber für mich ist das Kapitel wohl endgültig Geschichte.“

Die Zukunft wird zeigen, inwieweit sich die Lou Gramm Band profiliert. Aber eines ist sicher. Sowohl Mick Jones mit seinem neuen, und wirklich nicht schlechtem Sänger Kelly Hansen, als auch Lou Gramm mit seiner, Fast-Familien Combo werden wohl nie mehr den Kultstatus erreichen, den Foreigner in den Achtzigern erzielt hatten. Es sind nicht nur die Zeiten, die sich geändert haben. Es ist auch diese ganz spezielle Chemie zwischen zwei Talenten, die es einzig und allein vermochte eine so hervorragende Musikhistory zu kreieren und zu verewigen, so wie sie eben anno dazumal Mick Jones und Lou Gramm für Foreigner geschrieben hatten. Ob der übliche Wunsch für die Zukunft zum Ende dieser Konversation jetzt eher bescheiden oder zu hochgreifend ausfällt, vermag Lou selbst nicht genau zu sagen. Er überlegt kurz und meint dann zögerlich:

„Vielleicht wieder ein gesünderes Rosa auf der Skala zwischen Midnight Blue und Hot Red........“
ebl