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8. 11. 2004 München  Backstage
Toy Dolls

Juuhhuuu!!!  - “Europe’s zweiter Karriere Anlauf ist gerettet und mit ihnen der “Final Countdown”, was aber mit Sicherheit nicht auf dem mäßigen Erfolg des neuen Album der Band zurück zu führen ist. Warum? – Nun, weil sich eine englische Punklegende  aus den späten Siebzigern der Schweden erbarmt hat, und den Fanfaren Epos in brandneuem Styling aufgemotzt haben. Aber ich warne Euch, Liebhaber des klassischen Rock’n’Rolls. Zieht Euch warm an, sehr warm sogar. Denn was Michael ‚Olga’ Alger hier und jetzt verbrochen hat, würde im Mittelalter mit einer stantepeden Hinrichtung geanded werden.  Die Kastration des einstigen Megasellers ist so himmlisch kaputt, dass es schon wieder göttlich genial klingt. Das schönste an der Sache ist,  dass jeder noch so überzeugte Europe Fan trotzdem herzlich darüber lachen kann. (jedenfalls die, die ich kenne) Und letzteres, meine Freunde, könnt Ihr auch bei einem Live-Auftritt von den Toy Dolls.                                                                                                         
                                                                                                            
                                                                          
klickt Sound als kleine Kostprobe

Da bleibt keine Tränendrüse verstopft und keine Sicherheitsnadel  im Nasenflügel hängen. Die Annahme, es handle sich bei dieser Gruppe um ein abgehalftertes, halbtotes Relikt aus der glorreichen Punk-Hochblüte, wird schon beim Eintreffen am Venue eines besseren belehrt. Vater unser im Himmel, lass Joey Ramone von oben die Bibel durch beten. Sold Out – und das auf der kompletten Deutschland Tour. - Fazit:  mindestens hundert Jünger der Tapetenkleister-Frisur lassen auch heute die pinkfarbenen Federn hängen, dank vorzeitig geschlossener Pforten. Und was sich dann in den folgenden 90 Minuten abspielt, haben selbst die Balken dieses Rock Tempels, unseres aller geliebtem Backstage Club (der große) noch selten erlebt. Ein Ausbruch des Popocatepetl in Mexiko nimmt sich wahrscheinlich harmlos aus, verglichen mit der Eruption, die sich im Dampf des schwitzenden Suppentopfs herauf katapultiert. Hiiilfe !!! Das geht an die Grenzen der Substanz und vergessen sind sämtliche rheumatischen Kreuzschmerzen. Der Kampf der Titanen im Publikum ist gnadenlos feinfühlig und liebevoll brutal. Und der Gefahrenpegel  zu Apfelsinenmus zerquetscht zu werden, klettert auf Stufe 167.

Es ist zu 99% das letzte Mal, dass die Toy Dolls  ihr Plädoyer in Form von 3-Minuten Tonkaskaden über die wogende Masse verbrettern. Nichts wird verschont, ob in C-Dur oder F-Moll und Johann Sebastian Bach (PS.:den klassischen, meine ich natürlich) würde Hackfleisch aus Olga und Co machen, könnte er im Jenseits seine wunderbare Tokata mitverfolgen, bzw. das, was davon noch übrig ist. Und der Hummelflug von Rimski Korskov verselbstständigt sich und sticht schonungslos in die Harmonie der gesegneten Punkphilosophie. Das Faible für klassische Töne ist jedenfalls unüberhörbar.

Wie auch immer, - es ist unsere letzte Scheibe und auch unsere letzte Tour... – verkündet Olga. Okay, wer’s glaubt wird selig und lasset uns Schach spielen. Steigen  doch die Toy Dolls nach jahrelanger Abstinenz grad mal eben wieder auf wie der berühmte Phönix aus der Asche, allerdings ohne auch nur ein Staubkorn angesetzt zu haben. Alle Achtung! Mag es aus Nostalgiegründen sein oder zwecks Reanimation der Punkanatomie, oder ganz einfach, weil halt der Rubel wieder rollt. Und bei letzterem Argument, bin ich mir sicher, wird es in ein paar Jahren auch noch eine allerletzte Tournee geben. Wetten? -  Tatsache right now – ist, Olga der I. und mit Sicherheit auch der Letzte, der mit 44 Jahren aussieht wie 20 irgendwas, und ebenso springlebendig wirkt wie Spargeltarzan nach einer Entschlackungskur, betreibt Hochleistungssport als olympische Disziplin in Punkermanier, und die Schlacht von Waterloo gerät außer Kontrolle. (Blödsinn, was hat Waterloo  mit Punkmusik, - oh Michael vergib mir für meine Sprachschatz-Orgie...) Auch egal, denn augenblicklich mache ich mir lediglich Sorgen, ebenfalls Opfer des Speed - Rhythmus-Gemetzels zu werden.  Auf deutsch: der Fleischwolf ist auf dreifache Rotation gestellt. Und als kleine zusätzliche Aufmerksamkeit der örtlichen Verhältnisse, wird mein rechter Gehörgang zärtlich an die, gleich nebenan postierte Lautsprecherbox postiert, um mit einer Überdosis Dezibel-Sprühregen beglückt zu werden. Doch neben all diesen kleinen Annehmlichkeiten und Unpässlichkeiten, beherrschen die Toy Dolls vom Anfang bis zum bitteren Ende die Szenerie, stoisch in Ton und Melodie, entfesselnd in der Performance, und verfeinert mit viel Humor und Theatralik.

Jawohl, das ist Punk wie wir ihn lieben. Und jawohl, man hat sie nicht vergessen über all die Jahre hinweg. Der Triumphmarsch der Aida, oh Verzeihung, - Olga, kann fortgesetzt werden, zumindest bis The Last Tour beendet ist. Und das soll noch in etwa und ca. 1 ½ Jahre dauern. Begleitet, - von – was könnte es passenderes geben, als dem Final Countdown. – Im wahrsten Sinn des Wortes. Mensch Jungs, - wenn schon nicht mit Eurem gesamten Schaffen, inklusive der Megahits "Spiders In The Dressing Room", und  "Nellie The Elephant"  .... aus den Achtzigern, so habt Ihr Euch spätestens jetzt anhand der Kastration der Europe Hymne ein beeindruckendes Denkmal gesetzt. Lang lebe der Punk, die Magie von Tröttuten und Michael ‚Olga’ Alger..... und nicht zuletzt ein ganz bestimmtes Pub in Maidervale.

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3. 11. 2004 München  Nightclub Bayr.Hof
Victor Bailey

Manchmal erscheint es mir, als ob die Zeit in etwa so wie die Lichtgeschwindigkeit funktioniert. Quasi, je schneller die Tage und Monate vergehen, um so weiter gelangen wir zurück in die Vergangenheit. Capito? – Nein? Okay, - ich meine damit schlicht und ergreifend, dass es mir wie vorgestern vorkommt, dass unser Über-Bass-Spezialist Victor Bailey  grade erst hier  war in der bayrischen Landeshauptstadt. Dabei ist es doch schon über ein Jahr her. Und so trifft man sich wieder. Selber Ort, gleiche Zeit, selbe Band und gleiche Performance, ohne Beethoven, dafür mit Baseball Kappe. Und trotzdem ist es jedes Mal ein wahrer Hörgenuß, dem ehemaligen Weather Report Bassisten  zu zulauschen, wie er mit sagenhaft gigantischer Fingerakrobatik sein Instrument liebkost. Jünger ist er geworden, energiegeladener und nach wie vor beeindruckend gut. Er scheint so was wie einen Jungbrunnen gepachtet zu haben. Denn mit 44 Jahren scheint Bailey gerade mal halb so alt zu sein. Nun ja, - vielleicht nicht ganz.  Aber Vicki, wie ihn seine Friends liebevoll nennen, verkörpert den absolut perfekten Musiker, der es allerdings durchaus versteht, seine Darbietung als federleichte, in den Raum geworfene  Improvisation wirken zu lassen. – Dabei ist gerade dieser Stil des Fusion – Jazz alles andere als einfach. Bei allen tibetanischen Himaleia Echos, - ich sag’s Euch. Für diese Musik muss man eine spezielle Vorliebe entwickeln, sonst ist man hoffnungslos überfordert. Der Fusion-Jazz hat in der Musik ungefähr den Stellenwert, wie Richard Strauss Werke in der Opernwelt. – Schwierig, exzentrisch und exaltiert.
   

 
Zur Seite stehen dem 4-Saiten Wunderkind wieder einmal Peter Horvath keyb, Bennie Maupin sax, und Scott Peaker drums, drei ihrerseits ebenfalls hervorragende Musiker. Muss auch so sein, sonst würde die akustische Gleichgewichtslehre aus den Fugen geraten. Speziell Bennie Maupin, eine Jazz-Legende für sich, bei dem sich jedes Saxophon wie im Schlaraffenland geehrt fühlen muss, wenn es von ihm bedient wird, hebt sich neben Victor durch brillante komponistische Darbietung hervor. Ansonsten bestimmen Bailey - Leckerbissen der Marke Eigenbau das Programm, bunt gemischt mit Weather Report Klassikern sowie einer Huldigung an Miles Davies. Ei, ei, ei, - dass muss ihnen erst einmal jemand nachmachen. Der Bass schlägt einen dreifachen Rittberger, und das Keyboard tanzt tscha tscha tscha, natürlich zu rhythmisch differenzierten Klängen. Aber es harmoniert, - jawohl – das tut es. Und die, gerade mal hundert Liebhaber des Tüfteljazz danken es dem Ensemble e’miniatur  anhand von ungeteilter 100%iger Aufmerksamkeit und anerkennendem Applaus. Irgendwie kann ich mich, trotz diesem gigantischen Könnens eines Hauchs von Melancholie nicht erwehren, der unausweichlich weht, bei dem Gedanken, dass diesem Ausnahme-Musiker leider nicht die Akzeptanz der breiten Masse entgegen gebracht wird, die er eigentlich verdient hätte. Aber das liegt höchstwahrscheinlich am allgemeinen Unverständnis für hochentwickelte Tonstrukturen und der fehlenden Toleranz für verschiedene Musikstile. Und so wird denn auch weiterhin eine Minderheit vom großen Talent eines Victor Baileys profitieren. Aber die dafür dreifach gewickelt.
Ich meine, Richard Strauss Opern sind schließlich auch nicht jedermanns Sache, oder war’s Beethoven?!


                                                                                          



2. 11. 2004 München  Garage
Jeff Scott Soto



Weitere Fotos hier
und siehe auch Diary f. Aftershowshots

 

Einen kleinen Querschnitt der Soto Show zusammen mit Tyketto in England 
findet Ihr
  h i e r

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der meist beschäftigte Mann im gesamten universellen Music Land? – Na logisch – Mr. Jeff Scott Soto. Und meine erste Frage in dem, vor dem Auftritt stattgefundenen Tete’a te’ mit dem ehemals Lockenkopf, - ob er überhaupt noch einen Überblick hätte über sein gesamtes Schaffen, wurde mit einem zögerlich bejahendem, und ziemlich selbstzufriedenen Grinsen beantwortet und der einleuchtenden Erklärung, er müsse schließlich zuschauen, wie er seine Brötchen verdiene. – Aber hallo meine Freunde. Würde ich an dieser Stelle mit der Aufzählung sämtlicher Jobs von Mr. Soto beginnen, dann wäre der Platz für diese Review in kürzester Zeit 5dimensional gesprengt. 

– 39 Lenze ist er gerade alt  geworden und kann schon  mehr Stationen aufweisen, wie mancher Veteran, der auf den Ruhestand zusteuert. – Eyes hieß ein Steckenpferd von ihm, Talisman ein zweites. Gejobbt hat er bei Axel Rudi Pell und Yngwie Malmsteen. Aber auch diverse mehr oder weniger kurzlebige Soloprojekte beschäftigen den guten Mann  nach wie vor nonstop. Im Augenblick wandelt er wieder unter eigenem Namen und singt nebenbei in einer neuen Formation namens „Soulzirkus“ bei der u. a. auch Neal Schon von Journey mit von der Party ist. Kurz und gut, - Jeff Scott Soto gehört mit Sicherheit zu den unterbewertetsten Musikern im Genre, dessen Name der breiten Masse nach wie vor unbekannt ist. Ich kann nur simpel sagen: - mein Gott ist der Mann gut! – Nein, das ist kein dödeliger Melodic Rock. -  Melodic Rock deshalb, weil man ihn automatisch in diese Kategorie steckt. Nein, das hier und heute Abend ist knallharter, straighter Rock’n’Roll, kompromisslos und eben gnadenlos gut. Halleluja, dass ich das wieder einmal, genau in dieser rohen Form erleben darf. Ich hab schon nicht mehr dran geglaubt. Sicherlich gab es in der Vergangenheit den einen oder anderen brillanten Gig verschiedener Künstler. Aber dieses gewisse Etwas, diese ganz spezielle Ausstrahlung und natürlich der berühmte überspringende Funke, das alles in einem muss ein Performer erst einmal besitzen. Nimmt man dann noch den überschwappend, enthusiastischen Musiziereifer und die absolute Selbstaufgabe dazu, dann, und nur wirklich dann, entsteht diese individuelle Magie, die die Fans zum - über’s Kuckucksei springen - bringt.... Die uns hoffen lässt, dass der Hexenkessel niemals aufhört zu brodeln, man die Zeit ignoriert und wir uns fühlen, als ob wir mit Amphitaminen zum überdrehten Exodus gedopt sind. – Da spielt es keine Rolle mehr, wie die Setlist aussieht. Egal ob es Songs von Talisman sind, Soto – Solokompositionen, oder eine abgehobene Version vom Doobie Brothers Klassiker „Long Train Running“. Die Routine baut sich zu einer Jamsession infernal auf, die aus dem Stehgreif sogar noch Madonnas „Like A Virgin“ im Heavy Metal Stil vergewaltigt. Aber genau dieser Hokus Pokus macht das exzellente Talent eines Musikers aus. –

Schieß mich tot. Ich habe schon lange nicht mehr soviel Spaß gehabt bei einem Konzert, und da spreche ich nicht nur für mich selbst, sondern wahrscheinlich für alle 150 Seelen, die zugegen sind. – Ach ja, - Harry Potter ist auch mit von der Partie und hört eigentlich auf den Namen Gary Shutt, Longtime Mitstreiter von Jeff Scott Soto. Die Brille bleibt übrigens für off stage vorbehalten. Wir wollen ja auf der Bühne keine Verwechslungsgefahr eingehen. Und trotz verminderter Sichtverhältnisse legt unsere Blindschleiche ein Intermezzo aufs Parkett, dass sich Potters Zauberstab vor Neid krumm verkringelt. Ob Bass oder Leadgitarre, Shutt ist, genauso wie Soto ein Multitalent, der sich mit spielender Akrobatik liebevoll selbst verarscht um gleichzeitig um so mehr am Instrument zu überzeugen. – Humor ist das Zauberwort. Und das Rezept geht auf. Es benötigt keine endlosen Perfektionssoli oder zu ernsthafte Salzsäulen Konzentration um einen exzellenten Musiker auszumachen. Langer Plauderei - kurzer Sinn und Zauberspruch.... Der Funke muss überspringen – sonst nichts. Punkt um.... Und glaubt mir Leute, das hat er – mindestens 5.857 Mal in zweieinhalb Stunden, - oder waren’s  5.858 Mal...? Spuck drauf – this is Rock’n’Roll – sonst nix…. 

PS.: Hey, - und Harry Potter zaubert auch off stage....