’I
wanna die, before I get old’. Laut schallts über den Ulmer Münsterplatz.
Und das Schönste ist, der Slogan klingt nach wie vor glaubhaft, obwohl
er sich in sich selbst widerspricht. Stehen doch da oben zwei rüstige
Rock Dinosauriers, die den runden Sechziger bereits vor einiger Zeit
gefeiert haben. Aber bei allen Eiszapfen im Amazonasdschungel, ich schwör,
man sieht’s und man merkt es ihnen nicht an. Dies hier ist
wahrscheinlich, ohne Übertreibung die gelungenste Reunion aller
klassischen Rockbands, die es jemals gegeben hat. Obwohl,.... eigentlich
ist es keine wirkliche Reunion, weil sich The Who ja nie offiziell
aufgelöst haben. Nennen wir es eher sehr lange Pausen, die
zwischendurch eingelegt wurden, und
die dazu gedient haben, dass sich die einzelnen Individuen
kreativ weiter entwickeln konnten.
Ein Auf und Ab, ein Für und wider, und
dazwischen immer wieder The Who live. Der Einzige, der sich an den berühmten
Schlachtruf der Kultband gehalten hat, war bekanntlich Drummer Keith
Moon. Bassist John Entwistle hat’s da schon etwas länger ausgehalten
auf unserem Erdball. Aber auch er hat ziemlich unspektakulär vor zwei
Jahren den Löffel abgegeben. Nur der harte Kern, der ist nach wie vor
vorhanden, und Pete Townshend und Roger Daltrey versuchen alles
menschenmögliche, um all die Fans von einst inklusive meiner selbst, zu
überzeugen, dass sie nach wie vor quicklebendig sind, lieber alt werden
bevor sie sterben und nicht vergessen haben, wie man die Fans von einst
wieder in totale Verzückung versetzt und zum ausflippen bringt. Aber
auch, wie man eine junge Generation überzeugt, dass Sechziger Jahre
Bands noch lange nicht scheintot sein müssen und sich locker mit den
Youngsters von Heute messen können, vor allem was die phyische
Kondition betrifft, inklusive der Ausdauer, der Schwung und der Drive,
nicht zu vergessen die immense Erfahrung und das Können. Wenn man dann
noch die unvergessenen musikalischen Meilensteine mit einbezieht, dann
sind sie, zumindest was The Who betrifft, einfach unschlagbar und nicht
zu toppen.
Laut war’s, und zwar so laut, dass mit aller
Wahrscheinlichkeit sogar der höchste Kirchturm der Welt Tinnitus
bekommen hat heute Abend. So was hat er jedenfalls noch nicht erlebt.
Da wackelt der Weisheitszahn im Gerüst und lässt die
Grundmauern erzittern. Und die ca. 7.000 Fans, die den Platz vor dem Münster bis
fast in die letzte Ecke belegen, tragen noch ihr Schärflein dazu bei,
dass jenes mittelschwere Erdbeben noch um einige Nuancen verstärkt
wird.
Ich erinnere mich dabei an meine allererste Langspielplatte, die ich
mir als junges Mädchen gekauft habe , gerade mal 12 Jahre alt im Jahr
1973. ‚Tommy’ – die Rockoper von The Who, selbstredend die Band-
und nicht die Filmversion des Teils. Und seitdem waren The Who so was
wie ein Bestandteil meiner musikalischen Wurzeln geworden.
Nach der etwas verunglückten Performance von Roger Daltrey bei der
letztjährigen Nokia Night of The Proms schwingt allerdings die Skepsis
mit. Ich bete fünf
multiplizierte Vater Unser, dass dieses Spektakel hier ohne Makel über
die Bühne geht und nicht in einer traurigen Farce und vor allem in
meiner eigenen Entäuschung endet. – Und jawohl, nach einer winzigen
Anlaufsverzögerung zwischen den ersten zwei Tracks, dank kurzer
technischer Unpässlichkeiten ist
die Feuertaufe bestanden!!!
Wobei man sofort merkt, The Who sind vor allem
Pete Townshend, und dann kommt lange nichts. Er ist der Mentor, der
kreative Kopf. Er ist derjenige, der die Puppen tanzen lässt. Und er
verströmt diese überwältigende Intensität und Power aus. Er schwingt
nach wie vor sein Rad mit dem rechten Arm und springt mindestens ein
einhalb Meter in die Luft. Nur die Gitarren selbst bleiben heutzutage
verschont von Pete's einstiger Zerstörungswut. Roger Daltrey hingegen stellt den ruhenden Pol dar. Er
bewegt sich nach wie vor eher wenig und gibt nur mittels seiner Stimme
der immensen Power on Stage Ausdruck. Und im Gegensatz zum Nokia
Auftritt damals, ist der kleine Frontmann heute topfit. Man merkt, dass
er sich im Schoß seiner Band bedeutend wohler fühlt, als mit einem
befremdeten Orchester im Hintergrund. ‚I Can’t Explain’ ist übrigens
der Startschuss zu einer 2stündigen Full Energy Show, die gespickt ist
mit vielen Juwelen namens ‚Who Are You’, ‚Behind Blue Eyes’, ‚Better
You Bet’ ‚Substitute’ und ‚Teenage Wasteland’. Und ja klar,
‚My Generation’ ist der Höhepunkt mit einer Extraeinlage von Pete,
der den - one und only Slogan – ‚ I Wanna Die Before I Get Old’
noch unterstreicht. Aber auch ein Soloausflug vom großen Meister wird
eingebaut mit ‚See The Action’. Und es folgen noch etliche weitere
Klassiker, die moderner nicht klingen könnten inklusiver der 8minütigen
Vollversion von ‚Won’t Get Fooled Again’ und einer Kostprobe aus
dem brandneuen Studioalbum, das im Oktober offiziell erscheint.
Klar
geht ein John Entwistle schmerzlich ab. Und sicherlich schwebt über
allem der Geist von Keith Moon, der im Himmel bestimmt einen zwitschert
auf den immensen Erfolg und Zuspruch, den seine Kumpels gerade eben
wieder erleben. Aber Pete Townshend hat vorgesorgt und sich ein paar
verdammt gute Leute in die Band geholt. Unter anderem wäre da sein
Bruder Simon Townshend, der Entwistles Platz eingenommen hat, und am
Schlagzeug sitzt kein Geringerer als Zak Starkey, Ringo Starrs Sohn.
Mein erster Gedanke bei ihm: mein Gott, schaut der Kerl seinem Daddy ähnlich!!!
Und inzwischen steht der Münsterplatz Kopf,
und kein Opa, Enkel, Vater und Tochter steht still auf seiner Achilles
Ferse -
Ach ja, die Zugabe, wie sollte es anders sein – ‚Pinball Wizard’
und last but not least ‚See Me Feel Me’.
Gratuliere, das war ein absolut vollkommen-, gelungenes Stell-Dich-Ein
der einstmals lautesten Rockband der Welt. Oder sind sie das immer noch?
Nach dem heutigen Dezibel-Donnerwetter bin ich mir da gar nicht so
sicher. Sie haben es uns auf alle Fälle spüren lassen. Dazu braucht
man keine Monsterbühne wie die Stones, es benötigt keine spektakuläre
Lightshow und Special Effects um zu zeigen, dass Pete Townshend und Co.
tatsächlich noch wissen, wie man hot Chilly noch schärfer würzt.
Nix da von wegen abgehalfterte Oldies, keine Ermüdungserscheinungen,
und vor allem kein – ‚I wanna die before I get old’. – Denn nur
allein dazu.... sind sie nun wirklich zu alt dafür.- |