114

I wanna die, before I get old’. Laut schallts über den Ulmer Münsterplatz. Und das Schönste ist, der Slogan klingt nach wie vor glaubhaft, obwohl er sich in sich selbst widerspricht. Stehen doch da oben zwei rüstige Rock Dinosauriers, die den runden Sechziger bereits vor einiger Zeit gefeiert haben. Aber bei allen Eiszapfen im Amazonasdschungel, ich schwör, man sieht’s und man merkt es ihnen nicht an. Dies hier ist wahrscheinlich, ohne Übertreibung die gelungenste Reunion aller klassischen Rockbands, die es jemals gegeben hat. Obwohl,.... eigentlich ist es keine wirkliche Reunion, weil sich The Who ja nie offiziell aufgelöst haben. Nennen wir es eher sehr lange Pausen, die zwischendurch eingelegt wurden, und  die dazu gedient haben, dass sich die einzelnen Individuen kreativ weiter entwickeln konnten.

Ein Auf und Ab, ein Für und wider, und dazwischen immer wieder The Who live. Der Einzige, der sich an den berühmten Schlachtruf der Kultband gehalten hat, war bekanntlich Drummer Keith Moon. Bassist John Entwistle hat’s da schon etwas länger ausgehalten auf unserem Erdball. Aber auch er hat ziemlich unspektakulär vor zwei Jahren den Löffel abgegeben. Nur der harte Kern, der ist nach wie vor vorhanden, und Pete Townshend und Roger Daltrey versuchen alles menschenmögliche, um all die Fans von einst inklusive meiner selbst, zu überzeugen, dass sie nach wie vor quicklebendig sind, lieber alt werden bevor sie sterben und nicht vergessen haben, wie man die Fans von einst wieder in totale Verzückung versetzt und zum ausflippen bringt. Aber auch, wie man eine junge Generation überzeugt, dass Sechziger Jahre Bands noch lange nicht scheintot sein müssen und sich locker mit den Youngsters von Heute messen können, vor allem was die phyische Kondition betrifft, inklusive der Ausdauer, der Schwung und der Drive, nicht zu vergessen die immense Erfahrung und das Können. Wenn man dann noch die unvergessenen musikalischen Meilensteine mit einbezieht, dann sind sie, zumindest was The Who betrifft, einfach unschlagbar und nicht zu toppen.

Laut war’s, und zwar so laut, dass mit aller Wahrscheinlichkeit sogar der höchste Kirchturm der Welt Tinnitus bekommen hat heute Abend. So was hat er jedenfalls noch nicht erlebt.  Da wackelt der Weisheitszahn im Gerüst und lässt  die Grundmauern erzittern. Und die ca. 7.000 Fans, die den Platz vor dem Münster bis fast in die letzte Ecke belegen, tragen noch ihr Schärflein dazu bei, dass jenes mittelschwere Erdbeben noch um einige Nuancen verstärkt wird.

Ich erinnere mich dabei an meine allererste Langspielplatte, die ich mir als junges Mädchen gekauft habe , gerade mal 12 Jahre alt im Jahr 1973. ‚Tommy’ – die Rockoper von The Who, selbstredend die Band- und nicht die Filmversion des Teils. Und seitdem waren The Who so was wie ein Bestandteil meiner musikalischen Wurzeln geworden.
Nach der etwas verunglückten Performance von Roger Daltrey bei der letztjährigen Nokia Night of The Proms schwingt allerdings die Skepsis mit. Ich  bete fünf multiplizierte Vater Unser, dass dieses Spektakel hier ohne Makel über die Bühne geht und nicht in einer traurigen Farce und vor allem in meiner eigenen Entäuschung endet. – Und jawohl, nach einer winzigen Anlaufsverzögerung zwischen den ersten zwei Tracks, dank kurzer technischer Unpässlichkeiten  ist die Feuertaufe bestanden!!! 

Wobei man sofort merkt, The Who sind vor allem Pete Townshend, und dann kommt lange nichts. Er ist der Mentor, der kreative Kopf. Er ist derjenige, der die Puppen tanzen lässt. Und er verströmt diese überwältigende Intensität und Power aus. Er schwingt nach wie vor sein Rad mit dem rechten Arm und springt mindestens ein einhalb Meter in die Luft. Nur die Gitarren selbst bleiben heutzutage verschont von Pete's einstiger Zerstörungswut. Roger Daltrey hingegen stellt den ruhenden Pol dar. Er bewegt sich nach wie vor eher wenig und gibt nur mittels seiner Stimme der immensen Power on Stage Ausdruck. Und im Gegensatz zum Nokia Auftritt damals, ist der kleine Frontmann heute topfit. Man merkt, dass er sich im Schoß seiner Band bedeutend wohler fühlt, als mit einem befremdeten Orchester im Hintergrund. ‚I Can’t Explain’ ist übrigens der Startschuss zu einer 2stündigen Full Energy Show, die gespickt ist mit vielen Juwelen namens ‚Who Are You’, ‚Behind Blue Eyes’, ‚Better You Bet’ ‚Substitute’ und ‚Teenage Wasteland’. Und ja klar, ‚My Generation’ ist der Höhepunkt mit einer Extraeinlage von Pete, der den - one und only Slogan – ‚ I Wanna Die Before I Get Old’ noch unterstreicht. Aber auch ein Soloausflug vom großen Meister wird eingebaut mit ‚See The Action’. Und es folgen noch etliche weitere Klassiker, die moderner nicht klingen könnten inklusiver der 8minütigen Vollversion von ‚Won’t Get Fooled Again’ und einer Kostprobe aus dem brandneuen Studioalbum, das im Oktober offiziell erscheint.

Klar geht ein John Entwistle schmerzlich ab. Und  sicherlich schwebt über allem der Geist von Keith Moon, der im Himmel bestimmt einen zwitschert auf den immensen Erfolg und Zuspruch, den seine Kumpels gerade eben wieder erleben. Aber Pete Townshend hat vorgesorgt und sich ein paar verdammt gute Leute in die Band geholt. Unter anderem wäre da sein Bruder Simon Townshend, der Entwistles Platz eingenommen hat, und am Schlagzeug sitzt kein Geringerer als Zak Starkey, Ringo Starrs Sohn. Mein erster Gedanke bei ihm: mein Gott, schaut der Kerl seinem Daddy ähnlich!!!

Und inzwischen steht der Münsterplatz Kopf, und kein Opa, Enkel, Vater und Tochter steht still auf seiner Achilles Ferse - Ach ja, die Zugabe, wie sollte es anders sein – ‚Pinball Wizard’ und last but not least ‚See Me Feel Me’.

Gratuliere, das war ein absolut vollkommen-, gelungenes Stell-Dich-Ein der einstmals lautesten Rockband der Welt. Oder sind sie das immer noch? Nach dem heutigen Dezibel-Donnerwetter bin ich mir da gar nicht so sicher. Sie haben es uns auf alle Fälle spüren lassen. Dazu braucht man keine Monsterbühne wie die Stones, es benötigt keine spektakuläre Lightshow und Special Effects um zu zeigen, dass Pete Townshend und Co. tatsächlich noch wissen, wie man hot Chilly noch schärfer würzt.  Nix da von wegen abgehalfterte Oldies, keine Ermüdungserscheinungen, und vor allem kein – ‚I wanna die before I get old’. – Denn nur allein dazu.... sind sie nun wirklich zu alt dafür.-  

                               http://www.petetownshend.co.uk/




c) ebl / musicmirror