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Drei Jahre ist es jetzt her, dass ich diese Band hier in München schon einmal live gesehen habe. Damals spielten sie noch im Backstage vor gerade mal 500 Leuten in kleinem, intimen Rahmen, aber nicht minder erstklassig. Heute sind sie in der ausverkauften  Muffathalle zu Gast, was übersetzt, ca. 1.500, als drei Mal so viele Zuschauer bedeutet. (Anm. 2005 waren sie auch in der Münchner Elserhalle zu Gast )
Und auch wenn sich meine Vorliebe für progressiven Frickelrock in gewissen Grenzen hält bis auf wenige Ausnahmen, muss ich aus der Pistole geschossen, sagen, - die sind richtig klasse – gut. Und Purcupine Tree gehören nun ebenfalls zu jenen Ausnahmen. Keine Frage, - was Richard Strauss für die klassische Musik ist, sind Purcupine Tree für den Prog Rock. was soll’s?! Der Rosenkavalier dauert schließlich auch über vier Stunden. Da sind 20 oder 25 Minuten Purcupine Tree Soli ein Pappenstil dagegen.
Existieren tut die englische Formation ja bereits seit 1993 rund um das Genie Steven Wilson, der auf der Bühne eher wie ein, höchstens 20jähriger Öko-Student wirkt, (Jahrgang 1967) und stehts barfuß auftritt. Aber richtig aufmerksam wurde man den Fünfer erst vor ein paar Jahren, spätestens aber 1999, als ihr Werk ‚Stupid Dreams’ erschien, ein wahres Meisterwerk. Dieses wurde übrigens gerade in einer remastered Version neu aufgelegt. Und in Kürze erscheint noch eine Doppel-Live-DVD, die bei zwei Shows vom 11. und 12. Oktober 2005, in Chicago, West Park mitgeschnitten wurde.
Jedenfalls kann man diese Band getrost als die Erben von King Crimson bezeichnen, wenn auch nicht ganz so komplex und schwermütig wie die ungekrönten Könige dieser Musikart. Keiner weiß, ob jene überhaupt noch existieren. Aber das ist auch wieder einer der typischen Robert Fripp Charakterzüge. Es würde mich jedenfalls kaum überraschen, wenn Crimson morgen zu einer Welttournee ansetzen, nur weil es eine Laune vom Meistro so will.

Aber zurück zum aktuellen Geschehen, das hier Purcupine Tree heißt und King Crimson mehr als würdig vertritt. -  Gleich zu Beginn verkündet Steven Wilson, dass die Show zweigeteilt sein würde. Die erste Hälfte wäre komplett neuen Songs gewidmet, insgesamt sechs Stück an der Zahl. Während dieser darf übrigens nicht fotografiert werden.- Weiß der Geier warum, oder glauben die Briten vielleicht, man könne mit einer digitalen Canon Spiegelreflex Kamera neben dem visuellen Aspekt auch den akustischen einfangen? Who knows! Noch dazu scheine ich die einzige Vertreterin  meiner Zunft zu sein. – Das sechs Songs über eine Stunde in Anspruch nehmen können, bringt auch fast nur der Progrock zustande, zumal, groß angekündigt, Track 2 auch noch so lang ist wie eine komplette LP Seite. Auweia, das kann ja heiter werden, denken sich hierbei so einige Leute. Aber Gott sei’s getrommelt und gepfiffen, vollbringen Purcupine Tree tatsächlich das Kunststück, dass ihr verstrickter Melodienreigen auch nicht ein Zehntel einer Sekunde langweilig tönt. Und das ist eine wahre Meisterleistung. Denn abgesehen von einer Leinwand im Hintergrund der Bühne, die abwechselnd psychodelische Muster und Landschaftsaufnahmen zurück wirft, besteht die Show exakt aus fünf Musikern, die fast emotionslos, aber absolut perfekt ihren Stiefel durchziehen. – Und sogar die holländischen Kaasköp von Vengeance, die an ihrem day off hier present sind und selber eigentlich auf easy listening Party Rock’n’Roll setzen, stehen gebannt wie Oscar da und lauschen fasziniert und fast schon andächtig diesem schwierigen Intermezzo und sind restlos begeistert. Da kommt halt dann doch das reine Musikerherz durch. -


Setlist
6 new no name tracks -
Open Car, Sound Of Muzak, Buying new Soul, Arriving Somewhere but not here, 3, Start Something Beautiful, Trains; Halo, Blackest Eyes

Fünf Minuten Pause nach den neuen Stücken, und es folgen sechs weitere Songs, wo der Mitklatschpegel deutlich steigt in der Halle. Auch die Band wirkt entspannter und gibt sich explosiver als im ersten Teil. Der Paradesong 'Open Car' sorgt allein schon für Enthusiasmus pur. Nach mindestens fünf Morddrohungen seitens Fans wegen meiner Knipserei, (Anm. in der Muffathalle gibt’s so gut wie nie einen Fotograben, und das Faustrecht hat Vorrang, um gute Bilder zu bekommen) kann auch ich mich wieder entspannt dem Geschehen widmen und den Rest des weit über zweistündigen Konzertes andächtig lauschen. Sogar einen Lacher gibt es mitten im Set, als Wilson abrupt sein Gitarrenspiel und Gesang unterbricht und einen Fan in der ersten Reihe fragt, woher dieser sein T-Shirt hätte, und ob er es ihm abkaufen könne. See you after the Show, heißt es nach einiger feilscherei – und weiter geht’s. Ergo: trotz hochkonzentrierter Performance von schwierigster Musik, scheinen solche Kleinigkeiten dem Auge unseres Pseudostudenten nicht zu entgehen. Übrigens, um’s nicht zu vergessen, - bzw. der Vollständigkeit halber, -  neben Steven Wilson sind da noch: John Wesley (git),  Richard Barbieri (keyboards), der ewig selbstgefällig, grinsende Colin Edwin (bass) und das neueste Bandmitglied Gavin Harrison (drums) der 2002 für Chris Maitland gekommen war. -
End of Story, zweieinhalb Stunden verschlungener Frickelrock, der aber dank weniger Soli und sehr viel Gesang, weder langwierig noch ermüdend wirkt. Im Gegenteil, das was Purcupine Tree da fabrizieren ist allererste Sahne, und die Fortpflanzung des Progrocks ist somit gesichert. Vielen Dank deshalb an King Crimsons Söhne, und hoffentlich gibt Euch die Industrie die Chance zum überleben. Der bislang unterbewertesten Band dieser Richtung sind die besten Vorraussetzungen  jedenfalls gegeben.

PS.: Pinetree heißt übrigens übersetzt soviel wie  Kiefern- bzw. Pinienbaum. Ein Purcupine Tree hingegen ist ein Stachelschweinbaum. -  Was immer das auch sein mag, -Steven Wilson weiß es und er liegt goldrichtig damit.....

                                                                                            http://www.porcupinetree.com/