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Zugegeben, ich habe bis dato Nightwish noch nie live gesehen, schon gar nicht mit der Original-Sängerin Tarja Turunen. Nicht nur, weil ich des öfteren dank Koordinationsproblemen ein solches Konzert nicht wahr nehmen konnte, sondern auch, weil ich mich persönlich nie so richtig anfreunden konnte mit der Kombination aus dieser
Koloratur -Sopran Stimme derer Mrs. Turunen mächtig ist und Heavy Metal Riffs. Aber da man als Journalist keinesfalls voreingenommen sein sollte, (Anm. Geschmäcker sind nun mal verschieden, und der Erfolg spricht schließlich für sich) und eine solche Performance in meinem Repertoire noch aussteht, nehme nicht nur ich die Gelegenheit wahr, mich heute Abend von den Qualitäten dieser Künstlerin vor Ort zu überzeugen, - wie gesagt – ohne Voreingenommenheit.
Gleich an der Tür heißt es, dass es zwei Support Acts gibt, und nicht nur einen, wie angekündigt. Keine so nette Aussicht (zu wenig Support ist nicht gut, zu viel auch nicht), um  umgehend im Fotograben fast meine Kamera fallen zu lassen, als ich entdecke wer da eigentlich den ersten Support darstellt.  Denn es ist kein Geringerer als Bassist Doug Wimbish (Bassist von Living Colour, anerkannter Bassvirtuose und alter Bekannter von mir) der da oben im Alleingang zeigt, was man mit einer Bassgitarre so alles anstellen kann.

Unzählige Male hab’ ich ihn bereits mit Living Colour oder mit einer seiner Jazz-Fusion Formationen live on stage gesehen. Aber wo ich ihn am allerwenigsten vermutet hätte, ist hier und heute Abend. Heiliger Strohsack, wer hätte das gedacht!!!! Fakt ist, Doug ist eine Koriphäe für sich auf den 4 Saiten. Er entlockt dem Instrument Töne, von denen man nie denkt, dass sie überhaupt von einem Bass stammen. Er gibt  sich sehr selbstbewusst da oben im Alleingang, und bringt es zustande, dass dieser Einstand tatsächlich interessant und abwechslungsreich klingt. Und einige der, ca. 1.000  Zuschauer, wissen das auch durchaus zu schätzen. Aber im Grunde genommen kannten ihn die wenigsten hier bis heute und wissen mit dem, doch eher komplizierten Fusion-Sound wenig anzufangen. Deshalb ist die Reaktion eher verhalten und auch durchaus verständlich. Einige junge Fans bezeichnen dies hier gar als besch.... – Aber wohlgemerkt,  1) ist etwas was einem selbst nicht gefällt, noch lange nicht besch.... und 2) wie wär’s mal mit ein bisschen Kompromissbereitschaft und Weiterbildung. Denn das was Herr Wimbish da oben fabriziert, gehört schon zur oberen Liga der genialen Musikalität. Mein persönlicher und einziger Kritikpunkt an seiner Performance ist einmal mehr die Politisierung on Stage in Sachen Bush in einem Stück. (Anm: und ich wiederhole mich: Politik gehört in die Politik und nicht auf eine Showbühne)  Zum Schluss seiner instrumentalen Ausschweifungen (mit Gesang mitunter) begleitet ihn die komplette Tarja Background Band, zu der er selbst übrigens auch gehört. Und spätestens da zeigen sich auch die Die Hard Tarja/Nightwish Fans wieder sehr kompromissbereit. Bravo, für meine Begriffe ist dieser Einstand recht gut gelungen. (Anm. und ich freu’ mich heute schon auf Living Colour, wenn sie im Herbst wieder bei uns touren) http://www.dougwimbish.com/

Der zweite Streich ist ‚Passionworks’ und stammt, so wie Tarja aus Finnland.

Ehrlich gestanden habe ich noch nie zuvor etwas von dieser Band gehört. Und ich glaube, da steh’ ich heute Abend nicht allein da. Also kann man auch nicht von einem Allgemeinwissensmangel sprechen. Angeblich sollen sie gerade hoch in den finnischen Charts  sein. Aber ich konnte leider keinen Eintrag finden, weder bei den Singles noch bei den Alben. Anyway,  Sängerin Harry (Harriet) Hägglund stellt den Blickfang da oben  dar mit ihrem türkisen Raumanzug, der ihr scheinbar seit Beginn dieser Gruppe 1999 an den Leib gewachsen ist. Nicht zu vergessen den Papa Bear Hut. Zugegebenermaßen wirkt diese visuelle Kombination originell. Aber wie sagt man so schön? Eine Schwalbe macht auch noch keinen Sommer... Und das Outfit, sowie die diversen Lichtspielereien  vermögen es nicht, über die eher monotone Performance hinweg zu täuschen.
Das aktuelle Teil nennt sich ‚Blue Play’ und kam in Suomi bereits 2006 auf den Markt. Hierzulande erblickte es das Licht des Tages ein Jahr später. Ehrlich gestanden, auf mich wirken die Finnen mit ihrer eigenartigen Mischung aus subtilem Pop Rock ein bisschen wie eingeschlafene Füße. Auf alle Fälle ist niemand hier traurig, als der zweite Support nach 40 Minuten einen Abgang macht.
http://www.passionworksmusic.com/
 
.... und dann kommt sie, fast schon,- herein geschwebt, die Königin der Nacht, auf einer Wolke von Licht, die ihre Erscheinung fast schon überirdisch wirken lässt.

Mei, da tanzt die Kamera den Zauberflöten Rock’n Roll vor lauter Freude über so viele Spektral-Perspektiven. Das Kostüm, dem im Verlaufe der Show noch einige andere folgen, unterstreicht ihr apartes Aussehen. Und sie scheint unter dem gleißenden Licht, inklusive der stimmlichen Anstrengung keinen Schweißtropfen zu vergießen. Allein diese Umstände lassen ihre Fans, davon nicht wenige, die nach wie vor zu Nightwish stehen, vor Verzückung glänzende Augen bekommen. Die 31jährige, studierte Opernsängerin gibt sich ausnehmend devot auf der Bühne und bedankt sich in stark akzentierten Englisch  , fast nach jedem Stück mit überschwänglichem Dank. Sie wäre ja so happy hier zu sein, und dass ihr die Fans die Treue gehalten hätten. – Nun gut, dieses Verhalten erfüllt mit Sicherheit seinen Zweck. Denn einer der Gründe für ihren spektakulären Abgang bei Nightwish damals, sollen ja ihre Launen als provokante Diva gewesen sein. Und diesem Image soll nunmehr auf der momentanen Tour allen Lügen gestraft werden. Tarja versucht sich jedenfalls äußerst publikumsnah zu geben um Sympathiewerte zu sammeln. In ihrer derzeitigen Begleitband mischen u.a., abgesehen vom vorhin, bereits beschriebenen Doug Wimbish, noch Tarjas kleiner Bruder Toni Turunen mit an den Percussion, Gitarre und Gesang, sowie unser deutsch-amerikanischer Vorzeige Drummer Mike Terrana, der heute mal gzwungen ist – oben mit – zu spielen. Ist man gar nicht gewohnt von ihm.



Das Set ist eine Mischung aus etlichen Nightwish Songs und neuen Stücken von ihrer ersten Solo CD ‚My Winters Storm’. Aber irgendetwas stimmt heute Abend ganz und gar nicht, und nachdem die einhergehende Sample Maschine in einen Kapitalstreik geht, ist ausgerechnet Mr. Terrana gezwungen, den gerade angefangenen Song abrupt zu abzubrechen. Man versucht das Malheur  mit einer spontan aufgesetzten Lockerheit zu überspielen. Aber wie mir Mike später erzählt, funktionert von da an rein gar nichts mehr richtig. Dementsprechend thront er von da an hinterm überdimensionalen Drumkit mit einer so finsteren Miene, dass Jack The Ripper wie Balu der Bär dagegen wirkt. Den meisten Leuten im Publikum ist aber, bis auf das anfängliche Gebrechen, Gott sei Dank nichts weiter aufgefallen.


Und tatsächlich, die Heavy Metal – Königin der Nacht versucht sich im Koloraturgesang, der aber nur leidlich gelingt und vor allem im allgemeinen Soundgewitter untergeht. Nun denn, für Mozarts Zauberflöte reichts dann doch nicht ganz. Aber in unserem Genre hier schindet ihr voluminöses Stimmorgan hingegen ganz ordentlichen Eindruck. Und die Gegenliebe der Fans ist groß. – Neben dem, vorhin erwähnten Songmaterial, steht auch noch das Cover von Alice Coopers ‚Poison’ auf der Setliste. Meiner Meinung nach eine Todsünde, die hierbei begangen wurde, da der theatralische Gesang so gar nicht passen will und das Ganze eher wie eine kroteske Karikatur wirkt. Aber klar, wahre Fans lassen auch darauf nichts kommen. – Zugabe gibt’s natürlich auch noch, um damit die, nach Mike’s anschließender Auffassung, die  katastrophalste Show der ganzen Tour zu beenden. – Nur gut, dass das die meisten Kiddies hier nicht so gesehen haben und sich einige von ihnen hinterher noch über  2 Stunden im Regen vor dem Backstage Eingang hin stellen, in der Hoffnung auf das eine oder andere Autogramm.  Ob sie jenes dann noch bekommen haben, entzieht sich meiner Kenntnis.

Alles in allem war es die Erfahrung und die Fotos wert, sich die Nachtigall des Heavy Metals mal live anzuschauen. Und mein Fazit beläuft sich auf die Tatsache, dass Tarja mit Sicherheit einige Pluspunkte eingesammelt hat bei ihrem Besuch in München. Aber wie und mit was sie das angestellt hat, war mit Sicherheit nicht der Umstand eines erstklassigen Auftritts, wenn man es mal aus der neutralen, kritisch beäugten Perspektive sieht.
http://www.tarjaturunen.com/                                                       

                                                                                                    Mehr Live Bilder von Tarja gibts
hier


Mike & Doug - heute Abend nicht ganz so happy.....