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Ich muss gleich zu Beginn gestehen, dass ich persönlich mit dieser Gangart von Musik normalerweise nicht so viel am Hut habe. Nicht weil sie mir etwa zu kompliziert ist, ich bin schließlich leidenschaftlicher Fusion Jazz-Fan, und das ist noch mal um Welten vertrackter. Aber aus irgendwelchen, mir selbst unerfindlichen Gründen, schlägt sich mir diese, eher schwermütige Variante des Progressive Rock von Anathema auf’s Gemüt. Was aber nicht heißen soll, dass es sich hier nicht um exzellente Musiker handelt, die den Perfektionismus in der Tonkunst neu definiert haben. Vom atmosphärischen Doom Metal haben sich die Briten im Laufe der Jahre zum melancholischen Alternative Progressive Rock entwickelt. Die Band, die ihren Namen aus dem Griechischen gepachtet haben, und der so viel wie ‚Die Verfluchung’ bedeutet, kann man gut und gern als Familienunternehmen bezeichnen. Da wäre Daniel „Danny“ Cavanagh, (Git.) der für die Musik verantwortlich zeichnet. Vincent Cavanagh (Voc/Rhythmusgit.) ist der Frontvogel, Jamie Cavanagh bedient den Bass, John Douglas sitzt am Schlagzeug und Les Smith klimpert am Keyboard. Quasi, der Namen Cavanagh spricht für die Qualität und bestimmt das Geschehen. Um ehrlich zu sein, bei der Supportband schießt mir spontan der Gedanke ins Hirn: sollte der nachfolgende Headliner vom gleichen Kaliber gebaut sein, dann nix wie weg nach 3 Songs knipsen. Der Anheizer kommt übrigens aus Frankreich und nennt sich Demians.
Allerdings liegen mir dessen
Klangkaskaden nun absolut nicht, ehrlich gestanden. Aber es gibt tatsächlich
ein paar Freaks im, ohnehin spärlich, anwesenden Publikum (ca. 200) die
sich der Franzosen erbarmen, und die auch noch richtig gut finden. Nun
zwischen gut und gut ist denn doch ein kleiner aber feiner
Unterschied. Gut an ihren Instrumenten ist diese Band mit Sicherheit, ob
sie aber deshalb auch gut rüber kommen, bleibt in dem Fall eine
individuelle Geschmacksfrage und äußert sich nur teilweise treffend.
Mein Bier sind sie jedenfalls nicht, und deshalb will mich dazu auch gar
nicht weiter äußern, sonst drehen mich noch einige ihrer Anhänger
geistig durch den Fleischwolf. Aber wie schon bemerkt, setzt sich
bei mir während dieses Gastspiels der Entschluss fest, sollten
Anathema dieser Arie noch eins drauf setzen, dann bin ich nach dem
fotografieren Geschichte. - Hinzufügen muss ich noch, dass ich Anathema bereits einmal live gesehen habe, wenn man’s genau nimmt. Und zwar waren sie selbst Support von Porcupine Tree. Aber ich hab’ damals grad nur noch die Schlussminuten mitbekommen, weil ich wieder, wie so oft relativ spät dran war. Deshalb ist die Erinnerung an jene nur noch wage. – Das einzige was ich allerdings sofort feststelle: - die Haare sind ab, zumindest bei Vincent und Jamie Cavanagh, die früher mit ihren hüftlangen, schwarzen Wallelocken zusätzlich beeindruckten. Aber gut, wir werden alle älter, bequemer und praktischer, und heutzutage muss man auch keine sogenannte Matte mehr besitzen, um Rockmusik zu machen. Ich finde es cool von den Briten, dass sie sich unbeirrbar, zu diesem Schritt entschlossen haben. Denn es beweist, dass die Band ihre Imagepflege einzig und allein in der Musik sucht und nicht in nebensächlichen Äußerlichkeiten. Die Beleuchtung on Stage, auf die wir Fotografen immer so unendlich achten, ist so gut wie gar nicht vorhanden, und sie besteht allerhöchsten aus einigen dunkelroten bis tiefblauen Schattierungen, die die Musiker als gerade mal wahrnehmbare Silhouetten vom Hintergrund abzeichnen. Ja, eventuell könnte man diesen Umstand noch auf die Imagepflege zusätzlich münzen. Nicht so gut für uns Knipser, die heute zum Großteil aus holder Weiblichkeit besteht, die aufgestylt, mitsamt ihren Geräten nur allzu offensichtlich versuchen, die Stars on Stage zu bezirzen. Ein Grund, warum ich mich schon bald wieder aus diesem Bereich verkrümle und meine restlichen Bilder lieber von außerhalb und einiger Distanz schieße. Man spürt deutlich, dass Anathema, das was sie spielen mit
voller Leidenschaft und noch mehr Konzentration tun. Hier sitzt jeder Ton
und jedes Riff. Die Musik ist ein roter Faden, der sich in sich selbst
verschlingt, sich zum 20fachen Seemannsknoten fesselt, um im Nullkommanix
wieder losgelöst in höhere Sphären zu schweben. Und trotz dieser
Kompliziertheit besitzen die Stücke zum Großteil einen eingängigen
Refrain, einen, den man sich merken könnte. (Anm. die Betonung liegt bei
‚könnte’) Vor allem aber liegt eine unendliche Leidenschaft in der
Musik. Jene ist so intensiv, dass sie buchstäblich in Bächen aus jeder
Pore von Vincent Cavanagh
heraus gesprudelt kommt. Er verströmt sich förmlich und lässt seine
Energie mit vielfachem Ampere Druck in die Bühnenbretter stampfen. Aber
er schwebt mitnichten im Trancezustand dabei, sondern geht fast auf jede
Reaktion des Publikums ein. Die Tatsache, dass die Besucherschaft hier im
Backstag so gering ist, kommentiert er mit der Hoffnung, beim nächsten
Besuch ein ausverkauftes Haus vorzufinden. Aber auch Songs
wie „Are You There“ das mit dem tragenden
"Judgement"
und "Pain" gekonnt verwoben wird, überzeugen auch den letzten
Zweifler, dass sich da oben hervorragende Instrumentalisten befinden, die trotz ihrer Komplexität und Exzentrik sehr gut
zu unterhalten wissen. Und von wegen, ich hau ab nach dem fotografieren.
– Ich bin geblieben, und zwar bis zum allerletzten Ton. Und der ertönte
erst nach sagenhaften 2 Stunden und ein paar zerquetschten. Gratuliere,
das war ganz großes Können und erstklassige Unterhaltung. Nächstes Mal
– gerne wieder. Und auch ich hoffe, dass noch einige andere Musikfans,
Anathema für sich entdecken. Denn ehrlich gestanden, bei dieser
brillanten Performance
und den wenigen Besuchern, ist mir trotz dieses wirklich guten Konzerts
eher zum heulen zumute. |
Live in München am 22.10. 2008 |