Enthusiasmus hat immer recht selbst am falschen Ort......  (Christian Morgenstern)

Nur... hier an dieser Stelle sind wir heute Abend goldrichtig, und ahnen anfangs noch nicht im entferntesten, dass der oben erwähnte Enthusiasmus sich im Verlauf des Abends noch als nahezu grenzenlos erweisen würde mit nachhaltigem Effekt. Und das machen nicht nur die prägnanten Augenringe eines Herrn Tägtgren aus, welche allerdings seit dem letzten Mal, als er mit Hypocracy in München war, deutlich zurück gegangen sind. Woran das liegen mag, sei dahin gestellt. Aber normalerweise sagt man, dass für derartige Dinge das Wundermittel – seelische Ausgeglichenheit verantwortlich zeichnet. Ob das tatsächlich der Fall ist, vermag ich nicht zu sagen, denn so gut und vor allem so lange kenne ich diesen musikalischen Querdenker auch wieder nicht. Tatsache ist aber, dass der 41jährige Schwede ein virtuoser Allrounder ist in Hardrock Kreisen.  Egal was er anpackt, irgendwie hat alles Hand und Fuß, ob es sich nur um eine x-beliebige Produktion handelt oder um seine beiden Babies Hypocracy und Pain. Der Charakterkopf war auch schon mal klinisch tot für einige Sekunden was ihn zum Pain-Album ‚Dancing With The Dead’ im Jahr 2005 inspirierte. Zudem verbrachte er in jungen Jahren einige Zeit in den Staaten, nur um dann ganz schnell wieder in seine Heimat zurück zu kehren. Und dort besitzt er jetzt sogar ein ganzes Dorf namens Pärlby mit 120 Einwohnern, ca. 3 Autostunden von Stockholm entfernt. Peter Tägtgren ist kein einfacher Zeitgenosse, aber wahrscheinlich ist es genau dieser Umstand, der ihn zu jenem Status erhoben hat, den man in Insider Kreisen schlichtweg als Genie betitelt. Trotzdem übt er sich in bescheidenem Unterstatement und leidet keineswegs etwa unter Rockstar Allüren. Im Gegenteil, meist schlurft er abseits der Bühne an der Hauswand der Öffentlichkeit entlang, sein Gesicht dezent verborgen unter der Kapuze seiner Sweatshirtjacke – nach dem Motto: nur nicht auffallen.  – Besteigt er dann aber eine Konzertbühnen, dann verwandelt sich Dr.Jekyll in Mister Hyde, und aus dem zurückhaltenden Schweden wird ein explodierendes Energiebündel, das nicht mehr zu bremsen ist.
Und was wir heute Abend hier in der Münchner Backstage Halle erleben, lässt sich fast nicht mehr mit Worten beschreiben. Man muss es erlebt haben, um zu glauben, dass sich das hier als das allerbeste Konzert des bisherigen Jahres entpuppt, sieht man mal von den Supportbands ab.

Und jenes Vorglühen kommt von zwei weiteren skandinavischen Vertretern metallischer Liedgut-Künste. Zum einen haben wir da Turmion Kätilöt aus Finnland, von denen ich ehrlich gestanden vorher noch nie etwas gehört habe.

Vom visuellen Standpunkt her, ähneln die Brüder stark ihren Kollegen von Behemoth, Gorgoroth, Finntroll und Konsorten. Man pflegt quasi die gleiche Stillinie in Sachen Make up und dergleichen.Musikalisch kann ich leider nicht viel dazu sagen, da ich nach einigen Fotos noch eine Verabredung zu einem  kleinen vereinbarten Gedankenaustausch wahr nehme, den Ihr unterhalb dieser Review findet . http://www.turmion-katilot.info/

Die Nummer Zwei kommt  genau wie Pain aus Schweden und sie sind keine so Unbekannten mehr am Metal-Horizont.

Übrigens sind jene zudem lediglich der Ersatz für die, wegen Krankheit, abgesprungenen Tarot. Engel gibt es jetzt seit 10 Jahren. Allerdings haben sie es in all der Zeit auf, nur zwei Alben gebracht. Die jüngere der beiden CDs nennt sich ‚Threnody’ und erschien im vergangenen Jahr. Auch zu ihnen kann ich mich hier an dieser Stelle nur eingeschränkt äußern, dank teilweiser Abwesenheit. Sie frönen dem sogenannten Melodic Death Metal, wie auch immer man dieses musikalische Output beschreibt. Ach pfeif drauf, ich halte ohnehin nichts von diesem Schubladen Denken verschiedener musikalischer Unterkategorien. Auf alle Fälle haben Engel tatsächlich so was wie zwei Engel in ihren Reihen, was die allgemeine Attraktivität abgeht. Nur die wiederum nutzt auch niemanden was, wenn die klangliche Muse nicht zum personal flavour of the month passt, wie man so schön sagt. Was ich noch mitbekomme, ist der Umstand, dass die Band leidlich gut ankommt in der sehr gut gefüllten Backstage Halle (ca. 600) es aber bei weitem nicht vermag, die Schäflein hier zu Begeisterungsstürmen zu verleiten. Sei’s drum nehmen’s wie’s kommt und sie selbst sind zufrieden, dass sie überhaupt als Vorleger für Pain fungieren dürfen.
http://engelpropaganda.com/

Und was jetzt kommt, damit hat ehrlich gestanden fast keiner hier kalkuliert.

Um es vorneweg zu nehmen: Pain ist in erster Linie Peter Tägtgren, und Peter Tägtgren ist Pain. Trotzdem, oder vor allem deshalb, funktioniert das Zusammenspiel mit den restlichen Bandmitgliedern so 150ig Prozent perfekt. Nur damit sich niemand, der Pain von früher kennt, wundert. Bassist Johan Husgaval ist aus familiären Gründen auf dieser, 25 Termine umfassenden Tour nicht dabei. Für ihn ist wieder einmal Andre Skaug von Clawfinger  eingesprungen. Wieder einmal deshalb, weil jener schon einmal im Jahr 2007 ausgeholfen hatte. Und dass dieser gute Mann am liebsten von mindestens 3 Meter hohen Boxen springt, das wissen wir bereits von Auftritten seiner eigenen Band.

Kurz und gut, Pain legen los, als ob der Jüngste Tag eben erst sein blasses Morgengrauen verschickt hätte. Und das ist  nur der Anfang einer 100.000 Volt - High Energy Explosion ungeheuren Ausmaßes. Die Kunst dabei ist, diesem durchaus melodiösen Industrial-Metal die noch eindrucksvollere Härte zu verleihen, zu der  eine prügelnde Thrashmetal Band überhaupt fähig ist. Tägtgren lässt dem Publikum keine Zeit zum durchschnaufen. Wahrscheinlich beabsichtigt er uns zeigen zu wollen, wie es ist, wenn der Atem weg bleibt für Sekunden, die wie eine kleine Ewigkeit dauern. Und er beweist, dass es genau der Umstand der ansatzweisen, Ohrwurm-verdächtigen Songs ist, jene, die geradezu zum mitgröhlen einladen, dass die Menge sich selbst extrahiert. Höhepunkte sind das fordernde ‚Dirty Woman’ von der aktuellen Scheibe ‚You Only Live Twice’, das selbstredend den weiblichen Gästen hier gewidmet ist, sowie ‚The Great Pretender’.

Ein weiteres Highlight stellt das, im sitzen vorgetragene ‚Have A Drink On Me’, bei dem die Hocker da oben zum rauchen beginnen. Letzteres ist zudem der Beginn einer fast endlosen Zugabe, die eigentlich die ganze Nacht hätte weiter laufen können. Denn keine Seele hier drinnen will, dass die Band jemals aufhört zu spielen. – Das finale Amen wird mit ‚Same Old Song’ und was könnte es anderes sein, als ‚Shut Your Mouth’ sein.

Die Songtitel könnte man jetzt fast schon versinnbildlichen. Denn der Orkan der Begeisterung tobt weiter, vor allem als sich Clawfingers Andre vom Balkon des Venues in die Tiefe stürzt, wohlbehalten aufgefangen wird von unzähligen Armen und hinweg getragen in absoluter Ehrerbietung. –

Doch dem Wahnsinn ist noch immer nicht Genüge getan, obwohl der Soundmann ein verneinendes Kopfschütteln in Richtung Band wirft. -  Der Topf läuft über und verlangt nach noch mehr... und... es geschieht ein Wunder: Peter Tägtgren lächelt! Kein Schmarrn und hiermit liegt der Beweis auf der Hand, der sonst so traurig dreinschauende Mann kann tatsächlich lachen.

Er kann nicht anders und muss, nein er will zurück zu seinen, ach so treuen Fans hier in München. – Die Earplugs sind irgendwo, aber nicht mehr in der Ohrmuschel, und die Gitarre hat sich auch schon verabschiedet. Und er meint: this is mad, it’s gonna get funny.... but who cares….. und Pain steigen ein zu einer Punkversion ihres Oldies ‘Bye Bye Die Die’. –

Danach geht gar nichts mehr... Der Akku ist endgültig leer, so leer wie schon lange nicht mehr nach fast 2 Stunden. Und auch die Fans können nicht mehr. Ich selbst muss ohne Übertreibung gestehen, seit ich auf dem Backstage Areal Konzerte verfolge, und das tue ich immerhin bereits seit fast 20 Jahren, habe ich so einen Wahnsinn nur ganz selten erlebt, vielleicht noch bei The Exploited, aber viel mehr vergleichbares fällt mir auf die Schnelle nicht ein.
Und wie eingangs dieser Review schon vermerkt, das hier war -  bis jetzt zumindest....ohne wenn und aber das allerbeste Konzert des Jahres 2011 in jeglicher Beziehung.
Tja, und wenn ich mich schon mal zu Begeisterungsstürmen hinreißen lasse, dann heißt das wirklich viel – sehr viel sogar. Denn so was passiert mir allerhöchstens 2x im Jahr, wenn überhaupt.
Viel später schleicht dann noch eine vermummte, unauffällige Gestalt durch die fast schon leere Halle. Aber den interessiert zu der späten Stunde ohnehin keiner mehr.... und das ist auch gut so.
Gute Nacht Dr.Jekyll and see you hopefully soon again.......Suchtgefahr mitinbegriffen!
http://www.painworldwide.com/


aufs Foto unten klicken für den kleinen Plausch mit
Dr.Jekyll a.k.a. Mister Hide oder einfach nur Peter Tägtgren
(streaming Audiofile via WMP mit kurzem Musik-Intro)