Eigentlich wäre ich heute gar nicht hier und würde jetzt nicht über diese Truppe hier berichten, denn ich sollte bei Sinead ‘O Connor in München für ein Magazin fotografieren. Aber der Dame war just ca. 3 Stunden vor Konzertbeginn eingefallen, dass sie sich unpässlich fühle und somit nicht auf der Bühne stehen könnte. Also wurde dieses Event kurzfristig abgesagt. Wobei bei solchen Aktionen oft die Vermutung im Raum steht, dass die Übersetzung für Krankheit, mangelnde Ticketverkäufe lautet. Aber gut, das sei dahin gestellt. Fakt ist, ich habe einen Fotoauftrag verloren, aber dafür die Chance gewonnen, die Band anzuschauen, die mich musikalisch tatsächlich interessiert. Und die spielt heute Abend einmal mehr im gemütlichen Village Club in Habach bei Garmisch.
Ja, ich weiß, als erstes kommt von 99% aller Lesern hier, erst mal wieder ein befremdetes – wer? Und  diese Frage ist absolut nachvollziehbar. Denn allzu lange gibt es diese Gelegenheits-Bandkonstruktion noch nicht, die da aus keinem Geringeren als Gitarrist Vernon Reid (Living Colour) besteht, ferner aus Bassist
Jamaaladeen Tacuma, der schon mit Jazzgröße Ornette Coleman und Willy De’Ville uva. zusammen gearbeitet hat und da wäre noch Drummer Grant Calvin Weston, der als der wichtigste Free Funk Jazzschlagzeuger der Welt bezeichnet wird. Alle drei Musiker sind in etliche andere Projekte involviert und müssen sich mit Termin-Koordination herum schlagen. Aber wenn dann tatsächlich mal etwas Luft ist, dann ist es diiiiieee Gelegenheit, um wieder einmal genau das zu machen, das am meisten Spaß macht. Und in unserem Fall hier, liegt dieser Vergnügungsfaktor in der Tatsache die Free Form Funky Freqs aufleben zu lassen.




Es ist Sonntag Abend, und das Timing ist nicht wirklich optimal. Denn zum einen verleitet einmal mehr das Wetter nicht unbedingt das heimelige Wohnzimmer zu verlassen. Und zum anderen, heißt es am nächsten Morgen wieder früh aufstehen, um eine weitere Arbeitswoche zu beginnen. Und so sind es einmal mehr nur wenige Zaungäste, die sich im Village eingefunden haben, um diese Supergroup, und so kann man sie dem Können nach, wirklich bezeichnen, auszukundschaften. Aber Vorsicht! Denn genau jene Art von Perfektionsmusikern kann einem unter Umständen sehr viel Musikverständnis abverlangen. Das Problem ist oft, dass jene Super-Talente selbst oft gar nicht bemerken, wie sehr sie sich in schwierigste musikalische Kapriolen hinein verkleistern. Was sie selbst noch als relativ easy empfinden, ist für manchen Freund musischer Künste mehr als nur ein Buch mit sieben Siegel. Und die Gefahr ist groß, dass einige unter uns total überfordert sind mit den verschlungenen Tonkonstruktionen, deren Key Note und Rhythmus sich ständig neu erfindet. – Stutzig wird man bereits, wenn man Vernon Reids Space Shuttle vor der Show betrachtet.


(ein typisches Vernon Reid Solo)


So nenne ich seinen Gitarren-Pedal Wald am Boden, sowie das daneben situierte Pult mit zig Schaltern und Knöpfen samt dem Laptop. Damit erzeugt unser 2facher Grammy-Gewinner die exotischste Ton DNA jenseits des Jupiters, die sich mitunter verselbstständigt in zig Spektral-Schallwellen. Was bei Living Colour aber noch in straighte Funkrock Songs übergeht, das artet hier in komplex-verschlungene Sound-Experimente aus. Bei Bassist Jamaaladeen Tacuma fällt dieser Umstand nicht so sehr auf. Denn er begnügt sich, zumindest hier im Village mit einem Instrument, genauso wie Drummer Grant C.Weston. Trotzdem zeigen auch diese beiden Herren anhand einiger bemerkenswerten Einlagen ihren brillanten
Quantensprung zwischen sämtlichen Halbtönen im Normal-Frequenz-Bereich.


Im Ganzen betrachtet entpuppt sich der Auftritt hier als, wie soll ich es am besten beschreiben? – ganz spezielle Art der Performance. Es handelt sich dabei fast um ein instrumentales Gesamtepos und keine einzelnen Songs, bis vielleicht auf die letzten 2-3 Stücke. Und so ist auch der Anfang des hier verlinkten Videoclips einfach irgendwo mitten drin angesetzt und hört auch undefiniert wieder auf. Es gilt hierbei lediglich eine Vorstellung zu erhalten, was es mit der Musik auf sich hat. –

Nein, und wir sind hier nicht bei Dream Theater und Konsorten oder gar King Crimson.  Die Free Form Funky Freqs üben eine sehr unkonventionelle Art der Performance aus, eine die aus Free Jazz und Fusion mit Funk- und Rockelementen besteht, eine für die man ein Musikverständnis aufbringen muss, das über das des Otto Normalkonsumenten weit hinaus geht, sofern man das überhaupt vermag, eines das schlicht und ergreifend von der Erde bis zum Andromeda Nebel reichen muss. Trotzdem gelingt diesen drei musikalischen Aliens das Kunststück, dass ihr Gesamtwerk keineswegs langweilt oder überstrapaziert, zumindest tut es das bei mir nicht. Im Gegenteil, die etlichen Breaks und Key Wechsel lassen dieses Epos wie eine experimentelle Achterbahnfahrt anmuten, wo man bei jeder einzelnen Kurve nicht weiß, ob’s gleich  steil nach oben oder senkrecht nach unten geht, wenn Ihr versteht was ich meine. Und das macht diese musikalische Gradwanderung im Prinzip sehr spannend. Ca. Zwei Stunden dauert das opulente Gesamtwerk von drei First Class Musikern, die sich hierbei so richtig nach ihrem eigenen Geschmack austoben. Allerdings birgt genau das die Gefahr, dass es eben für so manchen durchschnittlichen Musikfan schon an höhere Mathematik grenzt und demzufolge auf Unverständnis stößt. Aber für diejenigen, die wissen was sie bei einem Auftritt von den Free Form Funky Freqs erwartet, kann dieser Egotrip zu einem Erlebnis werden, dem man noch so einige Zeit nachhängt. Deshalb auch das letztendliche Fazit: Operation gelungen, Patient halbtot oder auf wundersame Weise geheilt.
http://www.myspace.com/freeformfunkyfreqs

Offstage Schnappschüsse im Diary