Stellen wir uns vor, wir sind irgendwo ganz tief unten im Süden der Vereinigten Staaten, irgendwo in den Sümpfen von Louisiana, dort wo immer noch die Voodoo Magie einen gewissen Stellenwert hat, dort wo der alte, schwarze Bluesman einsam und melancholisch auf seiner abgewetzten Mundharmonika von längst vergangenen Tagen erzählt, dort wo die Zeit einfach stehen geblieben ist, zumindest sinnbildlich gesehen. Genau da ist die Band Delta Moon beheimatet, die es sich zum Ziel gesetzt hat, diesen Mississippi Delta Blues am Leben zu erhalten und ihn in eine neue, moderne Welt zu begleiten, deren Generation nur noch aus Erzählungen zu erahnen vermag, wie es eben damals gewesen sein mag.



Aber eigentlich sind Delta Moon in Atlanta Georgia zu Hause. Und das liegt zwar ebenfalls gleich neben Louisiana in den Südstaaten, ist aber eine brodelnde Metropole der Moderne, die nicht mehr viel gemein mit Onkel Toms Hütte hat, sondern hochtechnisiert Großstädten wie New York und Los Angeles in keinster Weise nachsteht. Atlanta ist die Heimat von Coca Cola und CNN, Atlanta besitzt den drittgrößten Flughafen der USA , Atlanta ist ‚der’ Verkehrsknotenpunkt der USA. Aber irgendwo zwischen all dieser High Tec Moderne, da wabert sie doch noch, die imaginär-okkulte Sumpfnebelschwade mit ihrer wehmütigen Musik. Und den Erhalt dieser, haben wir nicht dem Ku-Klux-Klan zu verdanken, sondern eben Bands wie die  zu unserem heutigen Thema, - und das sind Delta Moon.
Es ist schon traurig genug, wenn so eine Truppe dann erzählt, dass der Boden zu Hause zu trocken geworden ist, und dass man die Zukunft und den Boden für den Blues bereits seit längerem in Europa gefunden hätte, einem Kontinent, der zwar eine große Vielfalt an noch, zum Teil wesentlich älteren Kulturen hervor gebracht hat, aber eines ganz gewiss nicht – nämlich den Blues.

Dabei gibt der musikalische Geist von Delta Moon, Tom Gray, zu bedenken, dass er seine Ideen zu den tragend-schleppenden Songs eigentlich aus der Inspiration nimmt, die ihm einst vor vier Jahrzehnten die Rolling Stones vermittelt hätten. Und die wiederum sind bekanntlich Engländer und somit auch Europäer. Aber würde man jetzt noch weiter ausholen, dann hat sich auch ein Mick Jagger und Keith Richards letztendlich wieder von den alten Bluesmännern aus den amerikanischen Südstaaten bedient. – Tja und so schließt sich der Kreis immer wieder aufs Neue und er erinnert mich an einen Spruch, den John Lennon einst von sich gegeben hat: „Music goes in Circles on and on and all over again“. -
Tom Gray lebt diese Philosophie auf seine Art und Weise, und das schon fast ein Leben lang. Er schrieb Songs für Cindy Lauper, Manfred Mann und andere und kann wahrscheinlich heute noch ganz passabel von deren Tantiemen leben. Er ist der Musik verfallen, soweit er sich zurück erinnern kann. Aber erst das Zusammentreffen mit Mark Johnson ließ den berühmten Funken zünden, jenen, der dem Blues diese eigenwillige Note verlieh, die Delta Moon zu ihrem Markenzeichen gemacht haben. Dazu kam in jüngster Zeit noch eine Krebserkrankung, die Tom von da an die Dinge aus einer etwas anderen, relaxteren Sicht sehen ließ. Und jene Erfahrung spiegelt sich auch im aktuellen Album ‚Black Cat Oil’ wider, das doch eher nachdenklich-ruhig ausgefallen ist im Gegensatz zu den sechs vorhergehenden Scheiben, die die Blueser aus Atlanta bislang eingespielt haben. Zum Songwriter Team Gray und Johnson gesellen sich übrigens noch Bassist Franher Joseph und Drummer Marlon Patton, die das Line up komplettieren.


Jetzt sind Delta Moon zum vierten Mal über den großen Teich geflogen, um sich zu vergewissern, dass ihre Illusionen von der neuen, bzw. derzeitigen Heimat des Blues auch so stimmen. – Und mal abgesehen von dem Umstand, dass wir hier das nicht so ganz nachvollziehen können, freuen wir uns selbstredend über dieses kleine Stückchen musikalischen Kulturguts, das uns das Gefühl gibt, dass wir die letzte Rettung für den Blues sind, bevor dieser dann tatsächlich in naher Zukunft zu Grabe getragen wird.
Aber noch ist er nicht tot, der Blues, und ackert sich mit aller Liebe zum Detail, viel Nostalgie, aber auch frischem Wind durch die, momentane, europäische Clublandschaft. Und dank der Tatsache, dass Delta Moon inzwischen zum Begriff geworden sind, zumindest in den einschlägigen Kreisen, haben jene sogar einen äußerst hohen Stellenwert erzielt, dem ein noch größeres Qualitätsecho voraus eilt. Und demzufolge ist unser Village in Habach an diesem Abend auch sehr gut besucht. Und ich meine damit ‚sehr’ gut!
Setlisten sind überflüssig bei Delta Moon, denn die Songs sprudeln je nach momentaner Laune hervor, auch wenn die Priorität eindeutig auf dem neuen Diskus ‚Black Cat Oil’ liegt, auf dessen leichten aber doch tiefsinnigen Titeltrack,  aber auch das wehmütige ‚Blues in A Bottle’, wo die Slide Gitarren sich fast schon verselbstständigen.


Blues In A Bottle


Black Cat Oil


Und so entsteht eine Liaison  zwischen Bottleneck und Lap Steel die sich im akustischen Liebesspiel gegenseitig stimulieren, um von Zeit zu Zeit in einem multiplen Orgasmus zu enden.


Aber es ist auch der leicht raue Unterton in Tom Grays Stimme, der dem Blues von Delta Moon das, wie sagt man so treffend? – das gewisse Etwas verleiht. Nein, der Gesang ist mitnichten ein akrobatischer Quantensprung zwischen mehreren Oktaven, es ist vielmehr diese leicht melodramatische Monotonie, die einen einsamen Crossroad im Nirgendwo in der flimmernden Hitze Lousianas vorgaukelt. Dort wo der alte Bluesman seinen Pakt mit dem Voodoo Master geschlossen hat, dort wo er seine Seele verkauft hat, dort wo er wartet, dass er abgeholt wird. -
  



Schiebt man aber diese Fata Morgana, die übrigens zwei Mal 80 Minuten andauert, zur Seite, dann befinden wir uns immer noch in der rustikalen Stube unserer Kulturmühle, die mir allemal  wesentlich gemütlicher erscheint, als irgendeine Gott-vergessene, verstaubte Straßenkreuzung im Nirvana. Und diese Illusion verschwindet auch schlagartig vor dem geistigen Auge, wenn Delta Moon zu ihrer ur-eigenwilligen Coverversion von Bo Diddleys ‚Who Do You Love’ anstimmen (Anm: Stopp, hatten wir das nicht erst kürzlich beim Konzert von Neal Black?) Auch egal, - Fakt ist, dass sich Songs wie dieser und auch ältere, schnellere Stücke von Delta Moon mit dem Blues paaren und somit eine Mischung entsteht, die man gemeinhin auch als sogenannten Swamp Rock bezeichnet. Zusammen mit der Individualität, die Tom Gray und Mark Johnson in diese Mischung verstricken, entsteht eine sehr eigenwillige Kamasutra, die an unterschiedlichen Stellungen so fassettenreich ist, dass deren originale Namensschwester eindeutig das Nachsehen hätte. Aber auch die längste Sinnlichkeit hat einmal ein Ende, und das abebbende Finale setzt sich aus dem Slogan und der begleitenden Polonäse  ‚One More Song’ zusammen. Spät ist es geworden und Zeit zum Aufbruch, wobei sich der imaginäre Voodoo Hauch langsam in samtener Dunkelheit über das Geschehen hier legt. Unser Delta Moon verschwindet wieder hinter einer Wolke, um hoffentlich aber in nicht allzu ferner Zukunft wieder aufzugehen. Denn eines ist sicher, wir hier wollen diesen Mond noch oft aufgehen sehen, damit er auf den gegenwärtigen Crossroad, den der Blues gefunden hat, scheint.
http://www.deltamoon.com/ 


Tom Gray  &  Mark Johnson

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(beginnt mit kurzem Musik Intro - streaming Audiofile via WMP)