1.      Wie willst du den Flair von „Williamsburg” nach Deutschland bringen?
„Die Band besteht zum großen Teil aus Amerikanern. Und ich habe das von Anfang an so geplant, weil amerikanische Musiker halt doch ein bisschen anders spielen als das  Deutsche oder Engländer tun. Für mich haben diese Leute einfach dieses Gefühl, was zum Beispiel Blues ausmacht, das ist bei denen genetisch. Man kann das zum Beispiel  bei diesen bulgarischen Mädchenchören sehen– das sind ja unfassbar schwierige Harmonien, wir bräuchten wahrscheinlich Jahre, um das zu lernen, aber die werden so geboren und haben das irgendwie intus. Und so ist das  mit Amerikanern auch oft. Es ist halt ein lang gehegter Wunsch, wenn man so groß geworden ist wie ich. In einer Generation, die keine musikalischen Roots hatte in dem eigenen Land und die mit anglo-amerikanischer Musik groß geworden ist, haben wir eine unglaubliche Leidenschaft dafür entwickelt. Wir konnten das in meiner Jugend ja nirgendwo hören, da musste man sich wirklich Winkel suchen. Man hat nachts unter der Bettdecke gelegen, hat versucht, Radio Luxemburg reinzukriegen um irgendwas zu erhaschen. Was ich heute so ein bisschen bemängele bei vielen Jungmusikern, die irgendeine Musik machen und ihr dabei überhaupt nicht auf den Grund gehen: Wo kommt das im Endeffekt her? Wir haben uns schon dafür interessiert, was die Beatles machen oder was die Stones machen  - wo kommt das her, wo haben sie das hergeholt und wo sind ihre Einflüsse? Und da kam man natürlich dann auch schon zu den Blues-Musikern, und dafür hat man sich interessiert. Und wenn man dann sein Leben lang eigentlich amerikanische Musik schreibt und das mit deutschen Texten verbindet, ist natürlich immer ständig der Wunsch da, irgendwann mal in das Ursprungsland zu gehen und auch mit diesen Leuten dort zu spielen.“  

2.      s.o.
„Ich hatte auch das unglaubliche Glück, dass diese Leute bereit waren, mit mir zu spielen, und jetzt kommen einige hier rüber. Dazu kommt dann Markus Winstroer, der Gitarrist, der aus Deutschland ist, den wollte ich dabei haben. Und der Organist Alan Clark ist zwar Engländer, hat aber sehr, sehr viel in Amerika gearbeitet, hat auch Produktionen mit Tina Turner gemacht. Ich hoffe einfach, dass wir eine sehr gute Show auf die Beine stellen und auch meinem Prinzip weiter treu sind, Musik nicht zu reproduzieren, sondern jeweils an den Abenden zu kreieren. Das ist mein Wunsch.“ 

3.      Wie ist die immer noch aktuelle Platte „Williamsburg“ von deinen Fans aufgenommen worden?
„Die wurde sehr gut aufgenommen. Es gab ja bei der letzen Platte „Nahaufnahme“ die Situation, dass das wohl für viele Fans ein Experiment war, was sie erst nicht ganz nachvollziehen wollten. Ich habe in den Konzerten damals gemerkt, dass man das moderieren musste. Aber dann hat man die Kids musikalisch verführt und wir haben sie auch jeden Abend immer gekriegt: am Ende gab es immer Standing Ovations. Während ich bei „Williamsburg“ glaube – und auch in den jeweiligen Chatrooms gesehen habe  – dass  die Leute sich richtig freuen, diese Platte live zu hören. Und die Konzerte werden ja auch nicht nur aus Williamsburg-Material bestehen, sondern es werden natürlich auch Sachen gespielt wie „Sexy“ zum Beispiel. Den Respekt muss man dem Publikum einfach erweisen, die kommen da hin und es gibt ein paar Songs, die musst Du einfach spielen, weil sonst die Leute auch zu Recht sauer sind.” 

4.      Gibt es auch persönliche Lieblingssongs, die du besonders gerne live spielst?
„Ja, es gibt ein paar Songs, die ich nach wie vor auch unglaublich gerne spiele, wie zum Beispiel „Krieg“ und wie zum Beispiel „Mit 18“, was ja unglaublich lange her ist. Und was ich nie gedacht hab, was aber bei den Birthday-Bashes gewählt wurde: „Taximann“! Ich hab immer gedacht: Furchtbar, das live zu spielen, um Gottes Willen! Ich hab mich immer geweigert; hab’s dann aber gespielt und hab dann angefangen, es zu lieben. Ich weiß es noch nicht genau, ich habe eine Liste aufgestellt von ungefähr 40 Songs, die wir proben werden, und daraus wird sich dann die Setlist ergeben. Also weiß ich jetzt noch nicht genau, was drin sein wird, aber all das würde ich auch wieder gerne spielen.”  

5.      Die Set-List steht noch nicht fest, wie werden die Songs letztlich ausgewählt?
„Du übst immer eine ganze Menge Stücke und dann ergibt sich ziemlich schnell eine Dramaturgie an Songs. Es kommt vor, dass wir im Übungsraum anfangen, ein Stück zu spielen und ich weiß nach 32 Takten: Nee, das möchte ich jetzt doch nicht so gerne. Das ist aber immer eine gefühlsmäßige Sache.“ 

6.      Was wird bei den anstehenden Konzerten anders sein als bei deinen Shows in den 90ern?
„Na ja, ich hab die Latte ja in den 90ern sehr hoch gelegt für mich. Weil ich auch immer der Meinung war, wenn Du Stadien füllst bist Du auch in Konkurrenz mit den anderen Leuten, die Stadien füllen. Das waren zur damaligen Zeit halt U2 oder die Rolling Stones, oder vergleichbares, oder Michael Jackson. Für mich war das schlimmste Urteil immer „Ja, für’n Deutschen ganz gut…“. Also da hatte ich schon einen größeren Ehrgeiz, und ich glaub wir haben damals auch Maßstäbe gesetzt. Und diese Latte hast Du so hoch gelegt und das Publikum ist das auch von Dir gewohnt, dass Du ihnen wirklich eine Show bietest, die Qualität hat, an Licht, an Ton, an Videos. Und dass Du das natürlich nicht immer nur erfüllen, sondern eigentlich auch übertreffen musst. Und mein Bestreben ist halt, das kreativ und künstlerisch und geschmackvoll zu machen, und nicht einfach nur Aufwand zu betreiben. Die teuersten Produktionen sind im Grunde immer die, die sehr einfach aussehen, aber doch sehr kompliziert sind. Wir fangen immer schon ein Jahr vorher an, daran zu arbeiten, an einer Lichtdramaturgie und an einer Dramaturgie für die Videofilme. Ich benutze meistens Leute, die aus dem Theater- oder Opernbereich kommen, weil mir das näher ist als viele Leute, die im Rock’n’Roll-Business im Lichtbereich tätig sind – da geht’s meistens nur drum: Noch’n paar Lampen mehr und noch bunter und noch größeres Geflacker. Ich sehe eigentlich einen Song immer eher als eine Szene, wie in einem Stück eine Szene, und diese Szene wird beleuchtet. Wenn das Licht sich ändert, dann sollte es fast unmerklich geschehen. Wenn im Licht was geschieht, dann möchte ich das immer auch begründen können. Weil ich glaube, dass über jeder künstlerischen Handlung wirklich das Wörtchen „Intelligenz“ stehen muss, das ist für mich extrem wichtig. Und deshalb liegt die Arbeit weit vorher und ist auch aufwendig, weil ich mich im Endeffekt um alles kümmern muss.“

7.      Sehen die Aftershow-Partys heute anders aus?
„Na ja – bei mir ist es  so, dass ich  da fast militärisch diszipliniert bin bei so einer Show. Für mich konzentriert sich das alles auf die zwei, drei Stunden am Abend, und da heißt es, Disziplin zu halten, gerade in meinem Alter. Es gibt bei uns meistens dann am Ende der Tournee, nach der letzten Show, eine Feier und das ist auch einer der wenigen Male, wo ich dem Alkohol dann auch fröne. Weil dann immer eine Last von den Schultern fällt, und da feiern wir dann auch richtig. Aber ich kenne das so kaum noch; dass nun nach jeder Show eine Party gefeiert wird. Das kenne ich eigentlich gar nicht mehr.” 

8.      War das früher, als du jünger warst, anders?
„Für mich nie. Weil das meine Arbeit war und ist und ich der Meinung bin, ich muss jeden Abend die für mich bestmögliche Qualität abrufen. Das ist auch eine Verantwortung, die Du dem Publikum gegenüber hast, und wenn Du für etwas Eintritt nimmst, dann hast Du auch die Pflicht, das bestmögliche wirklich auch jeden Abend zu geben. Und dann ist danach der Höhepunkt für mich sowieso vorbei. Da geht’s für mich nur noch darum: duschen, massiert zu werden, etwas zu essen und ins Bett.“  

9.      Das klingt sehr diszipliniert, wie sieht denn ein typischer Tag auf Tour bei dir aus?
„Das läuft auch wirklich so ab: Ich versuche, so lange wie möglich zu schlafen, ich steh dann auf, treibe wahrscheinlich ein bisschen Sport, dann stretching, dann wird massiert, und dann versuche ich so weit wie möglich Ruhe zu bewahren am Nachmittag. Ich gehe immer schon sehr früh in die Halle, weil mir das einfach Sicherheit gibt, die Musiker kommen immer viel später. Ich bin immer der Erste in der Halle und gewöhne mich so langsam an die Umgebung. Wenn die Musiker kommen freue ich mich wahnsinnig, weil ich weiß, ich bin nicht mehr allein. Aber ich habe im Laufe der Jahre eigentlich gelernt, nicht zu früh zu nervös zu werden, sondern eine Stunde vorher, weil ich weiß, dass ich dann Adrenalin aufbauen muss und dann kann ich auch ruhig nervös sein. Da bin ich dann in meiner Garderobe, da darf dann auch keiner mehr rein, und dann sing ich mich ein. Dann singe ich drei, vier Songs und dann geht’s auf die Bühne! Und sobald ich auf der Bühne bin, ist es sowieso nur ein einziger Genuss, es ist einfach wunderschön, weil es einfach ein Zustand von Liebe ist, und das genießt man ja immer .” 

10. Die Liebe zwischen Publikum und Künstler ist also eine wechselseitige Beziehung…
„Ja, anders geht es ja auch gar nicht! Also wenn Du nicht bereit bist, Dich zu öffnen und Deine Verletzlichkeit  und Deine Seele zu zeigen, wirst Du nie wirklich ein Publikum erreichen. Dann werden die vielleicht ein Konzert angucken, aber dann gehen sie nach draußen und haben’s eigentlich nach zehn Minuten vergessen – und das ist nicht das, was ich möchte. Ich möchte, dass sie das wirklich länger beschäftigt.“  

11. Gibt es ein bestimmtes Ritual auf Tour, dass du aus Aberglauben immer beibehältst?
„Aberglauben nicht, aber… Es passiert jeden Abend das Gleiche. Es ist auch so, wenn ich in die Garderobe komme, sieht die jeden Abend gleich aus. Sie wird immer gleich eingerichtet. Und das gibt mir Sicherheit. Aber abergläubisch bin ich nicht, nein, überhaupt nicht.“  

12. Du hast schon unzählige Konzerte gespielt, da ist sicherlich auch so manches schief gegangen?
„Ja, das soll ja keiner merken… . Ich bin aber allerdings auch der Meinung – das habe ich vor vielen Jahren gelernt – Du solltest nie versuchen, wenn irgendwelche Sachen passieren – also PA [d.h. der Ton] fällt aus oder das oder jenes, oder jemand sich verspielt … Das Schlimmste ist für mich, dem Publikum etwas zu verheimlichen. Nimm sie einfach mit, sag ihnen offen, was falsch ist, lass sie das sehen, und dann wirst Du sie nicht verlieren. Aber wenn man dann nervös wird und es ist einem peinlich, dann glaube ich verliert man das Vertrauen des Publikums. Und das Publikum muss einfach immer eine starke Person da oben haben, sie müssen wissen: der hat das in der Hand. Und das hast Du nur, wenn Du souverän bist.”  

13. Du hast dir deinen Erfolg über viele Jahre nicht zuletzt aufgrund unzähliger Live-Shows hart erarbeitet, das ist heute bei den jungen Musikern oftmals ganz anders…
„Es sind andere Voraussetzungen. Wenn Du in den 60ern groß geworden bist , dann hatte Popmusik im weitesten Sinne auch einen gesellschaftlichen Aspekt. Es hatte manchmal auch einen politischen Aspekt. Man galt damals als Outlaw. Die Industrie hatte  noch nicht so schnell begriffen, diese Leute einzunehmen, was sie heute sehr schnell können. Und heute sind die Jugendlichen, die in der Zeit groß geworden sind , in den letzten zwanzig, dreißig Jahren auch schon früher brainwashed. Dabei sind sie sich  heute sehr bewusst, was sie machen, dass das mit Geld zu tun hat, wobei meine Generation eine sehr viel größere Naivität hatte. Man konnte uns links und rechts bescheißen, weil wir nur eins machen wollten, und zwar: Musik! Und wenn uns jemand am Anfang gesagt hatte, ihr könnt ins Studio, ihr könnt eine eigene Platte machen, dann hat man alles unterschrieben! Alles! Ich weiß noch, für mich war ein Argument am ersten Plattenvertrag, dass die Plattenfirma Warner mir gesagt hat: Du kriegst dann alle Platten, die es bei uns gibt. Und das war Atlantic, das war Reprise, das waren die ganzen Soulalben, das waren die Eagles, Doobie Brothers… Und ich hab gedacht: Das ist ja Wahnsinn! Wobei, die hätte ich sowieso gekriegt. Aber das war für mich ein Argument. Ich hab überhaupt nicht durchgeblickt, ich wusste nicht, was ein Verlag ist, die Verlagsrechte hab ich einfach abgegeben, nichts! Und auch meine ersten Gagen auf Tourneen, wo ich schon Zentausender Hallen füllte, waren derart lächerlich! Und ich hab gedacht ich bin fürstlich bezahlt, bis mir Udo dann sagte: Die ziehen Dich über’n Tisch! Das war wirklich der, der mir gesagt hat: Pass mal ein bisschen auf!  Weil er da schon ein bisschen mehr Erfahrung hatte als ich. Und das ist heute anders, die haben ein viel größeres Bewusstsein. Aber ich will auch nicht so der alte Mann sein, der sagt, es war früher alles besser. Es war anders, wir hatten andere Voraussetzungen, wir haben aus anderen Motiven heraus Musik gemacht. Weil wir auch gar nicht die Illusion hatten, dass wir jemals damit Geld verdienen würden, dass wir davon leben konnten, oder das wir jemals die Chance hätten, eine Platte aufzunehmen. Das hat von uns keiner gedacht.“  

14. Du sagst, Udo hätte dich darauf aufmerksam gemacht, dass du damals über den Tisch gezogen wurdest. Meinst du damit Udo Lindenberg?
„Ja, die Anfänge habe ich ja alle miterlebt. Wir haben ja unsere gegenseitigen Karrieren miterlebt und haben uns damals auch sehr viel gesehen und uns ausgetauscht.“  

15. Wen würdest du persönlich gerne einmal live sehen?
„Ich bin unheimlich glücklich, dass ich vor ein paar Jahren Fleetwood Mac sehen durfte. Für mich eine der besten Bands, die es überhaupt je gab. Ich hab sie in Kiel gesehen, und da war die Halle nur halbvoll, wo ich gedacht hab: Die haben „Rumours“ geschrieben, wie ist sowas möglich? Was mich allerdings dann aber auch wieder beruhigt hat, denn ich hab gedacht: Mensch siehste mal, mit Qualität hat das also auch nichts zu tun, ob nun eine Halle gefüllt ist oder nicht gefüllt ist . Genauso wenig wie es bedeutet, dass jemand großartig ist, wenn er eine Millionen Platten verkauft. Das ist einfach nicht der Fall. Ich hätte noch sehr gerne gesehen: James Brown in seiner Hoch-Zeit! Ich hab ihn leider erst gesehen, als er dann nicht mehr so toll war. Wen würde ich jetzt gerne noch sehen? Ich habe die Beatles gesehen, ich habe die Rolling Stones mehrmals gesehen… ach, eigentlich auch eine Menge von den schwarzen Musikern, die sehr selten hier rüber kommen und die man hier schwer sieht. Aber James Brown in seiner absoluten Hoch-Zeit hätte ich sehr gerne gesehen. Ich habe Jimmi Hendrix gesehen, zwei Mal – es wurden damals noch Matinées gespielt. Es war in Düsseldorf, er spielte nachmittags um Vier, und da war ich so überwältigt, hey das war für mich ein solches Schlüsselerlebnis, dass ich mich hinterher in der Halle in der Toilette versteckt habe, damit ich abends noch mal gucken konnte. Das war etwas, was ich vorher nie gesehen hatte und auch danach nie wieder gesehen habe.”  

16. Die Künstler, die du aufgezählt hast, waren fast ausschließlich Amerikaner, was ja auch deine musikalischen Einflüsse widerspiegelt. Dennoch singst du auf Deutsch. Fehlt dir da manchmal die internationale Anerkennung?
„Ja, was zum Beispiel auch schön war bei der letzten Platte: Ich hab nur mit den Amerikanern gespielt, und der Art von Musikern, die ich da im Studio hatte, die kannst Du nicht einfach so buchen. Das geht nicht, das sind keine Studiomusiker! Das heißt, ich musste sie überzeugen, ich musste denen meine Demos schicken und dann mussten die das als gut befinden oder nicht. Und ich hatte das große Glück, dass sie das als gut befunden haben. Dann habe ich sie im Studio getroffen, und sie haben sich auch von mir die Texte übersetzen lassen, wo ich dann noch mal Bammel bekam, weil schließlich Larry Campbel für Dylan elf Jahre gespielt hatte. Gott sei Dank wusste ich damals noch nicht, dass er auch als Produzent einen Grammy gewonnen hatte, also dann hätte ich wahrscheinlich gar nichts zustande gebracht. Und auch das hat Wohlwollen gefunden, und ich hab immer wieder während der Produktion gefragt: „Stört Euch das Deutsche?“ Und sie haben immer gesagt: „No, Marius, as long as it sounds good, it doesn’t matter what language.“ Und das freut mich ganz besonders wenn ich mir die Platte heute anhöre – sie hört sich für mich musikalisch authentisch an. Du hast nicht das Gefühl, da macht einer amerikanische Musik und singt dazu Deutsch, sondern… Also für mich ist das jedenfalls so, das ist sicher eine subjektive Meinung. Ich bin sicher nicht objektiv meinen Produkten gegenüber, dazu bin ich emotional viel zu sehr beteiligt, aber es kommt mir so vor, als wär‘s harmonisch. Und Deutsch zu schreiben macht für mich Sinn, es ist meine Muttersprache. Ich glaube, dass ich ganz gut Englisch spreche, ich kann auch englische Texte schreiben, das hab ich mit Della Miles zusammen gemacht, aber ich glaube dass Du so eine Vielschichtigkeit in den Texten nur hinbekommst in deiner Muttersprache.“  

17. Wie kam es damals überhaupt dazu, dass du deutsche Texte gesungen hast?
„Es war– es ist fast sogar gezwungener Maßen passiert… Am Anfang wollte ich Englisch singen, klar, in meiner Amateurzeit wurde nur Englisch gesungen, damit bin ich groß geworden. Als die Plattenfirmen dann kam, wollten die natürlich Deutsch. Ich hab mich da sehr lange geweigert, obwohl ich für ein satirisches Magazin im ZDF geschrieben habe und für die auch mal Texte für Musikgeschichten erfunden habe. Aber dann habe ich eines Tages im Radio irgendeinen Liedermacher gehört und es wurde gesagt: „Einer unserer besten Texter!“ Da hab ich gedacht: Das kannste auch, das kannste besser! Und dann habe ich mein erstes Album geschrieben , ich glaub innerhalb von 10 Tagen oder so, da kamen die Texte „Wupp“, da fand eine Eruption statt – das geht heute nicht mehr so schnell .“  

18. Woran liegt das, wird man mit zunehmendem Alter auch immer perfektionistischer?
„Ja, ja, du stellst immer höhere Ansprüche an Dich selbst. Und Du weißt ja, die deutsche Sprache ist auch nicht so einfach, damit kann man nicht so einfach arbeiten. Es ist auch schwerer Deutsch zu singen, weil das Englische alles hinten im Gaumen passiert, wo Du auch singen sollst. Und die deutsche Sprache formuliert sich sehr vorne, das passiert sehr weit vorne [im Mundraum]. Das dann vernünftig zu singen, ohne dass Du wirklich diesen typischen Deutsch-Ton kriegst, das ist manchmal nicht so einfach. Und Du bist auch nicht so frei im Phrasieren wie im Englischen, weil‘s dann albern für deutsche Ohren klingt. Und deshalb ist es schwieriger. Was ich immer versucht hab ist, in Texten mit möglichst wenig Worten viel Substanz zu liefern, damit Du nicht in diese Situation kommst. Deutsch ist ja eine unheimliche Erklärungssprache, Du brauchst immer viele Worte. Und das hab ich versucht, und manchmal ist mir das gelungen und manchmal nicht.“  

19. Wie sieht heutzutage das typische Westernhagen-Publikum aus?
„Wir haben beim Birthday Bash gemerkt, dass vorne zum großen Teil nur junge Mädchen waren, die alle wahrscheinlich nicht älter waren als meine Tochter. Und das erstaunt mich immer – wir haben ein Publikum, bei dem noch sehr viele junge Leute sind; aber es geht auch hoch, die älteren Leute stehen dann immer etwas weiter hinten, weil es ihnen vielleicht zu laut ist? Aber mich erstaunt es nach wie vor, das wir immer noch so viel junges Publikum haben.“  

20. Wird deine Tochter auch zu den Shows kommen?
„Ich weiß nicht, ob sie Zeit hat, sie ist ja unheimlich beschäftigt . Ich hoffe es, denn bei den Birthday Bash Shows hat sie ja Support gespielt und das hat sie auch mit einer unglaublichen Chuzpe gemacht. Also wenn ich mir vorstelle, in dem Alter  habe ich noch nie vor mehr als  500 Leuten gespielt und dann stehe ich plötzlich auf einmal in einer 15-Tausender-Halle… ich hätte da schon Probleme gehabt. Da ist die Generation heute auch anders, die gehen da raus und sagen: What the hell!“  

21. Wird deine Frau auf Tour mit dabei sein?
„Ja, immer, wir trennen uns eigentlich nie, sie ist immer dabei. Ich brauche jemanden, der auf mich aufpasst, sonst mach ich Blödsinn.“ 

22. Deutschland besteht aus vielen unterschiedlichen Regionen und jeder Menschenschlag hat so seine eigenen Vorlieben. Merkst du das auch am Interesse des Publikums, gibt es da ein gewisses Gefälle?
„Ja, durchaus. Das gab es bei mir immer. Also auch zu der Zeit, als wir jedes Stadion zwei-, dreimal ausverkaufen konnten waren wir immer glücklich, wenn wir’s in München zumindest halbwegs einmal geschafft haben. Das ist so und da dauert es auch immer wesentlich länger. Wobei sich das Kaufverhalten heutzutage sowieso sehr geändert hat. Du bist früher ein Jahr vorher rausgegangen und dann war innerhalb kürzester Zeit  sehr viel verkauft. Während heute, was ich auch der wirtschaftlichen Situation zuschreibe, die Leute sich das überlegen. Es ist ja auch nicht wenig Geld. Wir versuchen zwar, so zu kalkulieren, auf der einen Seite die Qualität zu bringen und zu halten, und auf der anderen Seite es mit den Preisen auch wirklich nicht zu übertreiben, aber es ist trotzdem viel Geld. Wenn jemand seine Freundin oder Frau mitnimmt, und er will dann vielleicht auch noch mit ihr Essen gehen hinterher oder vorher – das ist richtig viel Geld, und dann überlegen die Leute sicher heute, wer weiß wie es in drei, vier Monaten aussieht. Also dafür habe ich großes Verständnis. Aber ich hatte bisher immer sehr großes Glück und habe ja über all die Jahre ein  sehr loyales Publikum gehabt; immer.“  

23. Ist denn auch die Reaktion des süddeutschen Publikums verhaltener als beispielsweise bei einem Konzert in Hamburg?
„Nee, das kann ich nicht sagen. Aber eins war immer mein Lieblingspublikum, und das  ist das Berliner Publikum. Weil dieses Publikum immer bereit ist, sich neue Sachen anzuhören. Das war auch das Publikum bei der 2005er Tour,  bei dem Du gar nichts moderieren musstest, weil die erwarten, dass Du sie überraschst. Vielleicht ist das auch der Fall, weil die hier die meisten internationalen Acts haben. Und die Szene ist auch hier so. Die wollen was Neues, und da gehen sie dann auch mit. Und was mich immer fasziniert hat am Berliner Publikum: Sie waren nie blindwütig, was zeitweise der Fall war. Da war es eigentlich so, egal was Du machtest auf der Bühne, da waren die Leute begeistert. Da war so ein Hype vorhanden. Also da musstest Du Dich schwer zusammenreißen, dass Du sagst: Also es geht jetzt nicht darum, dass sie jubeln, sondern dass Du ein gutes Konzert machst. Und die Berliner waren immer so, dass Du merkst, Du kommst raus und musst erst mal zeigen, ob das auch wirklich gut ist. Aber wenn Du das schaffst, sie zu überzeugen, sind sie unheimlich euphorisch. Und das liebe ich, weil Du natürlich einen richtigen Response haben willst.“  

24. Du hast vorhin gesagt, eine Stunde vor dem Konzert wirst du nervös. Wie ist das, wenn du heute an die bevorstehende Tour denkst, kommt da auch ein wenig Nervosität auf?
„Nein…, ich glaub da hab ich zu viel hinter mir. Ich freu mich wahnsinnig auf die Tour, ich weiß, dass das wie jedes Mal anstrengend wird, weil, wenn Du’s vernünftig machst, was ich vorhin erklärt habe, wenn Du wirklich bereit bist, rauszugehen und Dich zu öffnen dem Publikum gegenüber, dann ist das anstrengend. Du bist dann halt für das Publikum eine Produktionsfläche und dann ist es immer einer gegen viele – und das strengt an. Aber ich freu mich da wahnsinnig drauf. Aber jetzt schon nervös? Nein, es ist ja alles so gut wie möglich vorbereitet, und das muss man auch. Schwierigkeiten gibt’s natürlich bei jeder Tour und irgendwelche Dinge, wo man schnell improvisieren muss, aber ich versuche mich so professionell wie möglich vorzubereiten. Und wenn ich weiß, es ist alles getan, und vor allen wenn ich weiß, ich hab eine unglaubliche Band, da kannst Du Dich als Sänger eigentlich nur ins gemachte Bett legen. Wenn das funktioniert, ist es einfach nur schön.“  

25. Gibt es einen Ort, an dem du gerne einmal spielen würdest?
„Ja klar , New York Madison Square Garden, das ist einfach eine unglaublich tolle Halle , aber da werde ich wohl nie hin kommen"

26. Was machst du nach der Tour, erst einmal Urlaub?
„Ja. Dann geht es nach Afrika. Und dann ist erst mal Ruhe, aber wie ich mich kenne… ich hab ja eine Gitarre da, und ich hab ja auch ein Keyboard da und dann wird das wahrscheinlich darauf hinauslaufen, dass ich dann wieder anfange zu schreiben. Und das kann ich da auch in aller Ruhe.“  

27. Also ist noch nichts in Planung für ein weiteres Album?
„Nein, ist noch nichts in Planung, nein. Ich mache das auch lieber so, dass ich sage: Ich habe was, und ich mach’s jetzt erst mal fertig. Und nicht so, dass dann schon geplant wird, wann es raus kommt und wie wir es vermarkten. Das wichtigste ist die Substanz, ist die Musik, sind die Songs, und wenn man das hat, dann kann man das aufnehmen und wenn das fertig ist, kann man sich überlegen, wann und wie kommt man damit raus.“  

28. Was machst du in Afrika, gehst du dann auf Safari?
„Ich war bisher, zu meiner Schande, noch auf keiner Safari, weil ich auch Bammel davor habe, ich habe Angst vor allem, was so kriecht und fleucht . Aber ich muss das unbedingt machen, weil alle Leute mir immer erzählen, dass das so unfassbar wäre, ein unfassbares Erlebnis und ich werde das auch irgendwann machen, ja.“  

29. Du wirst auch über Weihnachten dort sein, wie wirst du dort Weihnachten feiern?
„Weiß ich noch nicht, ich hab noch nie in Afrika Weihnachten gefeiert, ich schätze, ganz normal. Ich hoffe, dass unsere Kinder kommen. Da ist man sich auch immer nicht ganz so sicher, besonders bei meiner Tochter, weil die wirklich sowas von busy ist, dass ich sie manchmal noch nicht mal ans Telefon kriege. Sie ist sehr ehrgeizig, mir manchmal schon fast zu ehrgeizig, weil sie halt auch sehr sensibel ist. Und im Augenblick erfährt sie eine große Aufmerksamkeit, denn sie hat nur die Sonnenseiten kennen gelernt. Aber die Schattenseiten werden kommen, so ist einfach das Geschäft und da hat man natürlich als Vater immer Angst, dass ihr irgendwann mal wehgetan werden wird. Aber davor kann ich sie wahrscheinlich nicht bewahren, wahrscheinlich muss sie die Erfahrung selber machen.“  

30. Als wir uns das letzte Mal getroffen haben, hat deine Tochter gerade an ihrem Soloalbum gearbeitet…
„Ja, ja, sie hat gerade ihr erstes Album gemacht, in Hamburg erstaunlicherweise, und ich hab auch einiges gehört und ich bin da sehr zufrieden mit. Sie hat unfassbar hart gearbeitet und natürlich glaube ich, ist ihr Vater auch ein Ansporn. Irgendwie will man’s seinen Eltern ja auch immer beweisen, das kann ich mir schon vorstellen. Aber sie ist eine sehr harte Arbeiterin, das muss man sagen. Da ist sie sehr genau wie ihr Vater: Bevor sie nicht das hat, was sie sich vorstellt, wird sie auch nicht aufgeben. Und ich habe mich gewundert, dass Warner nach einem Westernhagen noch eine Westernhagen unter Vertrag genommen hat, weil die sich ja denken können, dass da die Charaktere ähnlich sind .“  

31. So schlechte Erfahrungen scheint Warner mit dir aber dann nicht gemacht zu haben…
„Ich bin ja da nicht einfach, und bin schon so, dass ich dann durchsetzen will, was ich im Kopf habe und da hat man natürlich immer Wiederstände, besonders bei einer Major-Company. Da hast Du natürlich immer den Druck; es werden Vorschüsse gezahlt, Du weißt, an Deiner Arbeit hängen Arbeitsplätze… Und selbst wenn Du Verträge hast wie ich sie hatte, dass ich totale künstlerische Freiheit hatte, spürst Du natürlich diese Erwartungshaltung und diesen Druck, der ständig da ist. Und Du spürst auch ständig, dass da Leute sind, die nun nicht die geringste Kreativität besitzen, aber gerne immer mit kreativ wären, da verschwendest Du schon eine Menge Energie, um das immer abzuwenden. Also da bin ich heute in einer wesentlich besseren Position.“ 

32. Jetzt kannst du doch machen was du willst…
„Ja, es ist ja mein Label. Also habe ich ja eigentlich immer gemacht, was ich wollte, aber jetzt habe ich überhaupt keinen Druck mehr. Nichts mehr. Also ich kann mich da sehr viel mehr auf meine Arbeit konzentrieren und unterliege da überhaupt keinen Zwängen mehr. Das ist sehr angenehm. Aber das kann man vielleicht auch erst, wenn man die Erfahrung hat, die ich habe. Vorher geht das  wahrscheinlich gar nicht.“  

33. Du bist auch Schauspieler. Welche Ausdrucksform ist dir lieber?
„Ich wurde früher immer gefragt: Was sind Sie eigentlich, Schauspieler oder Musiker? Aber das trennt sich für mich gar nicht. Erst mal finde ich sowieso, dass einer, der sich Künstler schimpft, immer an jeder Art von Kunst interessiert sein muss. Ich glaube da nicht an den Fachidioten. Es ist in Deutschland leider oft so, dass die verschiedenen Künste sich gegenseitig nicht befruchten. Das ist in Amerika so, dass ist in England so, das ist in Frankreich so, da arbeiten Filmleute, Theaterleute, Opernleute zusammen mit Popmusikern, und Popmusiker arbeiten mit Klassikmusikern. Aber in Deutschland haben alle eine große gegenseitige Angst voreinander, glaube ich. Das hab ich zum Beispiel überhaupt nicht, sondern ich versuche einfach mit den bestmöglichen Leuten zusammenzuarbeiten, weil ich glaube, an nur wirklich guten Leuten kannst Du auch wachsen und weiter lernen und Dich weiter entwickeln. Und alles andere interessiert mich nicht.“  

34. Demnach kann man zwischen dem Musiker Westernhagen und dem Schauspieler Westernhagen gar nicht trennen?
„Das trennt sich nicht, weil natürlich auch eine Rockshow eine Inszenierung ist. Muss es auch sein, weil es sonst gar keine künstlerische Handlung ist. Es gibt natürlich auch in der Popmusik Geschichten, wo Leute rausgehen und nur ihren persönlichen Kummer zeigen, aber die werden natürlich nicht sehr lange existent sein, weil niemand das sehen will. Es ist eine Darstellung, der Sänger ist ein Darsteller, der einen Text musikalisch interpretiert, der also praktisch eine Rolle spielt. Alles andere wäre ja auch idiotisch, weil nicht jeder Text autobiografisch ist, sondern meistens Fiktion. Und das ist auch für mich viel interessanter. Und das ist nicht nur bei mir so, dass ist, glaube ich, bei allen so. Es ist immer Pose, es ist immer Darstellung. Und da kannst Du nehmen, wen Du willst, ob Du nun Herrn Jagger nimmst oder Frau Whinehouse oder weiß ich wen. Oder Herrn Stewart oder sonst was. Es ist natürlich eine Inszenierung, gar keine Frage. Und privat bin ich sicherlich sehr viel introvertierter als ich das auf der Bühne bin, gar keine Frage.“  

35. s.o.
„Und das ist das Wichtige bei einer Karriere, gerade wenn Du eine sehr erfolgreiche Karriere erleben darfst, dass Du Dir immer klarmachen musst: Was ist Projektion, und was ist Realität? Sobald Du das verlierst, bist Du verloren. Weil Du Dich dann von Dir entfernst. Und was dann passiert, sieht man an so vielen Beispielen, das jüngste Beispiel ist Michael Jackson. Wie willst Du dann die geringste Erdung haben? Und dann geht’s einfach den Bach runter, und nicht nur in der Karriere den Bach runter, sondern vor allen Dingen auch persönlich, und das halte ich für viel, viel schlimmer.“  

36. Bist du selbst einmal Gefahr gelaufen, in solch eine Situation zu kommen?
„Na ja, ich war 1999 in diese Situation gekommen und deshalb war das auch einer der Gründe, warum ich mit Stadien aufgehört habe . Weil ich in eine Position gekommen war, die ich weder erfüllen konnte noch wollte. Und wo die Presse schrieb – und auch zu Recht schrieb: Das sind keine Konzerte mehr, dass sind schon Messen. Und ich bin überhaupt nicht interessiert an derart blinder Verehrung. Und ich habe mir einfach damals gedacht: Erstens kannst Du’s kreativ nicht weiter treiben, weil eine Stadion-Inszenierung begrenzt ist, das ist immer eine Wagner-Oper, es ist immer der Helden-Tenor, wenn Du das noch weiter treibst, wird das geschmacklos. Ich hab das bei einigen großen Rock-Acts gesehen, das ist eine Kirmes-Veranstaltung, das hat mit einem künstlerischen Event gar nichts mehr zu tun. Das ist einfach Kirmes, das ist laut, und grell und bunt. Und da hatte ich kein Interesse dran, das war einer der Gründe. Ich habe das ja mehrmals in meiner Karriere gemacht, immer wenn ich gesehen hab hier geht’s nicht weiter, und hier bist Du konsumierbar. Und in dem Fall war’s ja noch schlimmer, das war ja fast eine Götzenverehrung. Und da muss ich das dann beenden. Ich bin immer der Meinung, wenn Du Dich selber verlierst ist das mit Geld nicht aufzuwiegen. Weil es Dich unglücklich macht und immer nur Du selbst kannst es ändern, wenn Du unglücklich bist. Dann musst Du reflektieren und sehen: Das macht mich unglücklich, das muss ich ändern. Mir war damals vollkommen bewusst, als ich von der Bühne ging, ich glaub vor 108,000 Leuten in Hamburg, was ich da aufgebe. Und mir war auch bewusst, dass das einen gewissen Machtverlust bedeutet. Du gibst einfach einen Status auf. Was ich unterschätzt habe. Ich habe wirklich gedacht, ich kann diesen Status ganz aufgeben und ziehe dieses Mäntelchen einfach aus. Ich habe dann auch sehr lange nicht mehr mit den Medien kommuniziert und dann gemerkt, wie mir das übel genommen wurde. Vielleicht gibt es auch nicht so viele Personen, über die was Interessantes berichtet werden kann. Und wenn Du nicht mir ihnen kommunizierst, werden sie irgendwas erfinden. Und das ist zum Teil auch passiert und deshalb musste ich das wieder ändern und musste mich wieder ein bisschen mehr öffnen, weil sonst zu viel Fehlinformation an die Öffentlichkeit kommt.“    

37. Du bist nun von Hamburg nach Berlin gezogen. Was gefällt dir so gut an dieser Stadt?
„Die Energie und die Kreativität – und Berlin ist ja nun keine reiche Stadt, dort entsteht dann immer besonders viel Kreativität. Und es ist das erste Mal, dass ich in Deutschland erlebe, dass es eine richtige Großstadt ist, mit allem, wirklich mit allen Facetten. Und was ich hier so liebe und was Du ja auch in New York hast und zum Teil ja auch in London, ist, dass Du einen Straßenblock weitergehst und da ändert sich die soziale Schicht total. Das finde ich aufregend und hier vermischen sich die Schichten. Und die Krise der Plattenbranche ist für mich eher eine Reinigung und eine neue Chance, weil junge Musiker sich jetzt wieder überlegen müssen: Warum mache ich Musik? Und der Grund kann ja nicht mehr sein: Ich will reich werden. Denn das wird keiner mehr davon werden, sondern der Grund muss eigentlich wieder sein, so wie’s auch zu meiner Jungend war: Ich will Musik machen. Oder noch besser: Ich muss Musik machen, und ich muss Songs schreiben! Ich hoffe, dass da wieder viel kommt und das es dann wieder einen Kreis gibt, dass wir wieder darauf hin arbeiten, dass Popmusik sich auch wieder Kunst nennen darf. Zu meiner Jugend war Popmusik Bob Dylan, das war Jimmi Hendrix, das war Led Zepplin.  Unangepasst, unkonventionell. Und heute ist es ja doch schon so, dass sich viele junge Popmusiker fast so wie Politiker benehmen, sie sind einfach politisch korrekt, und das hat dann nichts mehr mit einem künstlerischen Anspruch zu tun.“  

38. Dir scheint es hier in Berlin sehr gut zu gefallen?
„Ja, klasse! Und vor allem kannst Du hier auch, selbst wenn Du populär bist, ausgehen und die Leute sind da  sehr cool. Und ich hab festgestellt, dass ich hier wirklich mit offenen Armen aufgenommen worden bin. Ich kann auch abends mal in einen Club gehen und mir irgendwas angucken, ohne dass ich ununterbrochen angeglotzt werde, das ist sehr angenehm.“  

39. Aber das jemand wie du in der Öffentlichkeit in der Regel Aufsehen erregt ist ja eigentlich auch nachvollziehbar…
„Na ja klar, schon – inzwischen hab ich mich dran gewöhnt, an die Glotzerei. Aber die ist ja auch nicht immer freundlich, sondern die ist manchmal auch misstrauisch. Aber hier lassen die Leute einen leben, Du kannst rumlaufen wie Du willst, Du kannst anziehen was Du willst und Du wirst akzeptiert und das finde ich großartig. Berlin ist in der Beziehung New York sehr ähnlich geworden.“  

40. Was verbindest du mit Heimat?
„Ich habe gar nicht so ein Heimatgefühl. Ich bin eigentlich wirklich Kosmopolit und das auch immer gewesen. Ich hab mich immer unglaublich wohl in New York gefühlt , weil einfach New York eine Stadt ist, genau wie Cape Town in Südafrika, die beides Schmelztiegel sind. Und da wirst Du Dich nie fremd fühlen, weil alle fremd sind, alle kommen von überall her, sprechen alle Sprachen, alle Kulturen, und das erlebe ich jetzt hier in Berlin , jedenfalls in Berlin-Mitte. Das ist für mich hier wirklich der toleranteste Ort in Deutschland. Und wenn Berlin-Mitte eine Blaupause wäre für die gesamte Republik, dann  wäre das toll. Dann hätten wir ein unglaublich liberales und tolerantes Land.“  

41. Wie lange wirst du wohl noch auf der Bühne stehen? Über deinen Abschied   wurde ja schon viel geschrieben…
„Ich habe das damals ganz deutlich formuliert, dass es ausschließlich um Stadien-Shows geht. Aber natürlich war das keine Meldung, sondern es wurde eigentlich kolportiert: Der Westernhagen hört auf. Und deshalb werde ich so etwas nie wieder sagen. Ich kann nur sagen: Ich mache das solange wie es mir Spaß macht. Und auch so lange mein körperlicher Zustand es zulässt. Im Augenblick bin ich nach wie vor sehr fit und sehr gesund. Aber in meinem Alter kannst Du es einfach nicht genau sagen. Ich bin jetzt über 60, und ich weiß es nicht. Im Augenblick fühle ich mich total sicher und fit, aber ich möchte auch nicht irgendwann auf die Bühne gehen und die Leute kommen da hin und sagen: Das ist ja toll, der Opa, wie der noch springen kann! Dann ist es eigentlich schon zu spät. Das wird sicherlich nicht passieren. Aber ich werde auch keine Abschiedstournee mehr ankündigen, ist ja auch vielleicht für die Leute spannender zu sagen: Na, wer weiß, vielleicht hört er auf, gehen wir da lieber noch mal hin, dass kann natürlich auch sein.“ 
http://www.westernhagen.de/

Alle Fotos (c) Bryan Adams

Termine:
08. Okt. 2010 Mannheim – SAP Arena
10. Okt. 2010 Stuttgart – Schleyerhalle
11. Okt. 2010 München – Olympiahalle
13. Okt. 2010 Frankfurt – Festhalle
16. Okt. 2010 Köln – LANXESS Arena
17. Okt. 2010 Dortmund – Westfalenhalle
20. Okt. 2010 Leipzig – ARENA
21. Okt. 2010 Berlin – O2 World
24. Okt. 2010 Hannover – TUI Arena
25. Okt. 2010 Hamburg – Color Line Arena