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12.02. 2006 München, New Backstage
Sasha

Okidok, jetzt nur keine voreiligen Schlüsse ziehen und gleich den Kopf schütteln. Fakt ist: Sasha kann singen, und wie! Sasha macht was her auf der Bühne. Sasha ist restlos ausverkauft, und die Fans bringen die Hütte zum wackeln, und zwar so, dass sich so mancher Hardrocker alle zehn Finger abschlecken würde. Und Sasha ist vor allem alles andere als ein Schmuse-Schmalz und Balladen Figaro. Klar, er hat eine Vergangenheit, so wie jeder von uns. Und er wurde als Teeniestar gehandelt, der mit verklärtem Gesichtsausdruck, nett anzuschauen, die Herzen der 16-jährigen Mädels zum schmelzen brachte. Und abkassiert hat er nebenbei auch recht passabel damit. Aber das ist lange her, und der Mensch verändert sich. – Vielleicht war es sogar die Dick Brave Phase dazwischen, wo er in originellem Rockybilly Look den 50er- Jahre Sound wieder belebt hat, die ihn gereift haben. Who knows!
Fest steht, wir werden alle älter, und der Mensch verändert sich. – Und Sasha hat sich verändert, und wie! Das fängt bei der Ausstrahlung an, geht über den neuen Haarstil, der ihn sogar jünger erscheinen lässt, als er eigentlich ist,  und hört beim gereiften Timbre auf. Aber das ist es nicht. Es ist das Know How. Sasha präsentiert uns eine Auswahl von neuen Songs, die erst im März auf CD erscheinen werden. Aber er bedient sich auch der alten Stücke, verpackt diese aber in ein neues Gewand, rockiger und mit viel Speed im Hintern.
Mein lieber Herr Gesangsverein, da wackelt Omas falsches Gebiss. – In der ersten Reihe hat sich hingegen nicht viel verändert. Und so sind es noch immer diese sweet little sixteen Girls, die in höchster Oktave kreischen, wenn Jung - Siegfried auch nur mit dem großen Zeh wackelt. Sie haben ihn auf keinen Fall vergessen, das steht fest. Und Sasha nimmt einen Schluck Tee zwischen zwei Songs und meint bescheiden-süffisant: „ich bin total platt, dass der Laden hier und heute ausverkauft ist. Ich war doch schon so lange nicht mehr hier, und die neue Scheibe erscheint erst im März. – Danke“ Sprichts, nimmt noch einen Schluck, räuspert sich und greift mit charmantem  Augenaufschlag wieder zum  Mikro um dem umwerfenden Echo gerecht zu werden. Spätestens jetzt ist auch der letzte Zweifel aus seiner Mimik und Gestik verschwunden, und man kann die physische Steigerung seiner Darbietung förmlich am eigenen Leib spüren. Die Selbstsicherheit hat ihn wieder. – Gott sei Dank. Und ich frage mich hinterher: wovor hat er eigentlich anfangs Angst gehabt? – Nebenbei gibt es noch eine Premiere zu feiern, nämlich das allererste Konzert im ‚Neuen Backstage’ auf der anderen Straßenseite gegenüber der alten Bude. Der erste Eindruck: man fühlt sich wohl in dem Laden. Und das ist schließlich das wichtigste. Ca. 1.000 Leute haben  hier Platz. Und wie bei jedem anderen ausverkauften Event auch, liegt der Begriff Ölsardinen-Atmosphäre nicht fern, und das bei Temperaturen um die 30 Grad plus – trotz Lüftung. (Anm:nur um’s erwähnt zu haben, die kleineren Konzerte bleiben vorerst bis zum Sommer nach wie vor im alten Bau.)

Zurück zu Sasha, der da im Anzug und Krawatte im Scheinwerferlicht schwitzt genauso wie seine Mitstreiter. Songs wie ‚Here She Comes’ und ‚Rooftop’ klingen rockiger als je zuvor. Und ehrlich gestanden die letzte Zugabe ‚Lonely’ hätt’ ich fast nicht wieder erkannt, nach dem Motto: es lebe der Blues. Man spürt diese Reife und Weiterentwicklung förmlich, und man kann getrost sagen, dass jene Songs aus der Vergangenheit heute nicht mehr dieselben sind wie anno dazumal. Da hat ein neuer Spirit Einzug gehalten. 
Schön ist’s, und alles in allem ein Sieg über die Vergangenheit, über den eigenen Schatten und die ganz schnell wiedergewonnene Selbstsicherheit. Aber vor allem ist’s ein voller Erfolg hier und heute und ganz im Sinne des Rock’n’Rolls.
PS.: mit sehr viel Charme versehen, versteht sich!




                                                                                           
02.02. 2006 München, Nightclub Bayrischer Hof
Vernon Reid

Hatte vor kurzem noch Living Colour Schlagzeuger Will Calhoun sein Soloprojekt, ebenfalls in diesem Club hier zum Besten gegeben, (siehe Reviews Archiv 64) so ist es nunmehr, grade mal 3 Monate später der Living Colour Gitarrist Vernon Reid, der sich mit seiner zweiten Band ‚Masque’ ein Stell Dich Ein gibt. Anders als sein Bandkollege, der sich im Worldmusic - und Fusionjazz austobt, bleibt Vernon Reid doch eher bei den rockigen Anleihen, gepaart mit einer Prise Reggae und Afrosound. Bei aller Bescheidenheit, aber auch dieser Musiker gehört zu den Besten seines Faches, und man kann ihn getrost auf eine Ebene mit Carlos Santana und Eric Clapton stellen, wenn auch stilistisch etwas breit gefächerter. Der gebürtige Londoner, der in Brooklyn, NY aufgewachsen ist, und dessen familiäre Wurzeln in der Karibik liegen, hat sich in der Vergangeheit mit seiner unglaublich, filigranen Spielweise profiliert, und das nicht nur bei Living Colour. In internationalen Fachkreisen ist er anerkannt wie nur wenige sonst, und mit Santana hat er auch schon gespielt.

Gerade ist Reids drittes Soloalbum erschienen mit dem vielsagendem Titel: „The Other True Self“. Neben etlichen Eigenkompositionen findet man darauf auch drei Coverversions. Zum einen den Radiohead Song ‚National Anthem’, Tony Williams Lifetime's “Wild Life und ‚Enjoy The Silence’ von Depeche Mode. Und genau diese Tracks kommen auch beim Liveset zum Einsatz. Aber vor allem sein Song ‚Prof. Bebey’vom neuen Longplayer liegt ihm am Herzen, denn da sieht er sich irgendwie selbst, wie er meint.
Live wird Vernon von hervorragenden Kollegen unterstützt, die ihm in nichts nachstehen. Hank Schroy' am Bass, (der sogar etwas Ähnlichkeit mit Brad Pitt hat)  Don McKenzie (drums)  und Leon Gruenbaum am Keyboard. Bei der Darbietung handelt es sich um ein nahzu perfektes Zusammenspiel, das keine Wünsche offen lässt. Und im Gegensatz zu Living Colour Kollege  Calhoun, geht Vernons Musik sofort ins Ohr und bleibt dort auch stecken.


Allerdings meint der Chef, es würde nicht oft passieren in so einem vornehmen Ambiente spielen zu dürfen, wie hier und heute im Nightclub von Münchens Vorzeige-Hotel Nr.1. Die ca. 100 Gäste danken es ihm mit viel Applaus und Zuruf nach mehr. Und das lässt sich Vernon nicht zwei Mal sagen. Er ist hervorragend und probt trotzdem das Understatement und gibt sich mehr als bescheiden. Dabei hat er es am allerwenigsten notwendig. Mit Living Colour füllt er nach wie vor die großen Venues, und das Mutterschiff hat, betont er last but not least, zukünftig auch noch so einiges zu sagen. Dazwischen bestimmt vorerst Masque das Leben des 47jährigen Gitarristen. – Bravo, es ist Vernon Reid hervorragend gelungen, seine Musik nicht nur für das geschulte Ohr  von Fachprofis zu kreieren, sondern auch für Otto Normalverbraucher, der Musik einfach nur genießen will – mit all der Leichtigkeit des Seins von Rock’n’Roll –  ob zu Hause im CD-Player oder live in concert. Fazit: er ist gut, - verdammt gut!

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